Waltraud Waidelich kämpft gegen die Ausbeutung von Arbeiterinnen in der Textil-Industrie

T-Shirt für 2,98 Euro, Jeans für 9,99 Euro? Wenn Waltraud Waidelich im Vorbeigehen eines dieser Schnäppchenangebote ins Auge fällt, beginnt vor ihrem inneren Auge ein Film abzulaufen. „Ich sehe dann, wie die Frauen in den Fabriken in Bangladesch an den Nähmaschinen sitzen. Es ist eng. Es ist laut. Es ist stickig. Sie arbeiten von früh bis spät, sieben Tage die Woche. Und trotzdem reicht es nicht zum Leben“, sagt sie. Und hier bei uns wird so ein T-Shirt manchmal nach einem Mal Tragen weggeworfen. „Weil es so billig ist, verliert man den Respekt vor der Arbeit, die dahintersteckt.“

Waltraud Waidelich weiß, worüber sie spricht. Seit zehn Jahren engagiert die Kirchenfrau sich in der Kampagne für saubere Kleidung (Clean Clothes Campaign). Klar, dass sie so ein T-Shirt nicht kaufen würde. Aber das Schlimme ist, sagt die 57-Jährige, bei einem Markenartikel für 50 Euro sind die Arbeitsbedingungen der Näherin meist genauso katastrophal. Sie zeigt auf ein Schaubild in einem Flyer der Hamburger CCC-Regionalgruppe. Ein T-Shirt ist zu sehen, wie eine Torte aufgeteilt in Stücke. Nur, dass diese sehr ungleich sind. Es geht darum zu zeigen, wer wie viel vom Verkaufspreis abbekommt. Danach bleibt von dem mit 13 Prozent ohnehin kleinen Teil für die Herstellungskosten nur ein Prozent für Lohn. „Das“, sagt die Referentin beim Frauenwerk der Nordkirche, „ist ein Skandal.“

Bei einer Studienreise in die Dominikanische Republik sah sie, wie Frauen in den Fabriken ausgebeutet wurden. „Es war egal, ob sie fleißig waren oder gut“, sagt die Hamburgerin mit schwäbischen Wurzeln. „Es gab keine Arbeitsrechte, nur ein paar Dollar Lohn.“ Sie fühlte sich angesprochen, als Sozialökonomin und als Christin. „Liebe deinen Nächsten, denn er ist ein Mensch wie du“, zitiert Waidelich die bekannte Bibelstelle und sieht das durchaus als konkrete Handlungsanweisung. „Es ist mein ethischer Grundsatz, mich für andere einzusetzen.“ Ihre Diplomarbeit schrieb sie über die dominikanische Textil-Industrie.

Und sie wollte etwas tun, ganz praktisch. Lange engagierte sie sich im Kirchenvorstand auf St. Pauli für sozial schwache Menschen. Als sie im Jahr 2000 ins Frauenwerk abgeordnet wurde, hatten die evangelischen Frauen die Kampagne für Saubere Kleidung gerade als Schwerpunktthema auserkoren.

2003 reiste Waltraud Waidelich erneut in eines der Produzentenländer. Dieses Mal war es Indonesien. „Und es war wieder ein Schock zu sehen, unter welchen Bedingungen die Textilarbeiterinnen Tag ein, Tag aus schuften.“ Sie sah auch katastrophale Wohnbedingungen, mit drei Frauen in einem Zimmer, Kloaken als sanitäre Anlagen. Sprach mit Müttern, die ihre Kinder nicht zur Schule schicken können, weil dafür 60Dollar Monatslohn nicht reichen. „Da hat man ganz brutal gesehen, dass die Versprechen nicht stimmen, diese Länder würden sich durch den Lohnkostenvorteil wirtschaftlich entwickeln“, sagt Waidelich.

Offiziell zeichnet sie beim Frauenwerk für den Bereich Konsumethik und Feministische Ethik verantwortlich. Dahinter, erklärt sie, steht die Auseinandersetzung mit Werten und Strukturen in der Gesellschaft. „Wir laden zum Nachdenken über bisher männlich geprägte Werte ein. Zur christlich-feministischen Ethik gehört auch das konkrete Handeln“, sagt Waidelich, die seit Jahren zwischen ihren beiden Arbeitsorten in Hamburg und Kiel pendelt und neben ihrer alten WG-Wohnung auf St. Pauli ein Landhaus im Landkreis Plön in Ostholstein hat. Sehr konkret ist ihre Arbeit für die Kampagne Saubere Kleidung, bei der Waidelich auf Bundesebene im Trägerkreis sitzt, außerdem arbeitet sie eng mit einer Gruppe Hamburger Ehrenamtlicher zusammen, die seit 1997 an dem Thema dran ist. In Deutschland machen die Engagierten Druck bei den Modefirmen.

Mit Werbeprospekten des Textil-Billiganbieters KiK nachempfundenen Flugblättern: „Bei uns ist Ausbeutung chic.“ Auch die Namen anderer großer Unternehmen machten sie öffentlich, bei Info-Ständen, Diskussionsveranstaltungen. Das erinnert an David gegen Goliath. „Wir können mehr erreichen, als wir denken“, sagt Waidelich. „Die Unternehmen reagieren, weil sie den Imageverlust fürchten.“ Ein großer Erfolg der Kampagne ist, dass zahlreiche Outdoor-Firmen der holländischen Fair-Wear-Foundation beigetreten sind und sich damit zur Fairtrade-Produktion verpflichtet haben.

Trotzdem: Es ist ein langsamer Weg, ein mühseliger. Es geht um nicht mehr und nicht weniger, als einen Wirtschaftskreislauf zu verändern – an dem viele in der westlichen Welt verdienen. Waltraud Waidelich hat in ihrem Büro ein Plakat von Arbeitern aus Bangladesch. „No more fire. No more Garmentworkers death“ steht darauf in blutroten Buchstaben.

Nach dem Einsturz eines Fabrikgebäudes in Dhaka Ende April haben 49 Firmen, darunter Aldi, H+M und der Otto-Versand, endlich ein Brandschutzabkommen unterschrieben. „Schlimm, dass erst 1000 Menschen sterben müssen, damit sich etwas ändert“, sagt Waltraud Waidelich. Sie sagt auch: „Man kann die Frage der Gerechtigkeit nicht dem Geldbeutel von Verbrauchern überlassen.“ Dahinter steckt die Forderung an die Politik, sich einzumischen. „Es müssen glaubwürdige Kontrollmechanismen eingerichtet werden, damit nur noch Produkte auf den europäischen Markt kommen, die unter menschenwürdigen Bedingungen produziert wurden.“

Man kann die Frage der Gerechtigkeit nicht dem Geldbeutel von Verbrauchern überlassen.