Bezirksamtsleiter Andy Grote ist Herr über den Kiez und die Innenstadt

Andy Grote ist der wichtigste Mann im Bezirk Mitte. Das würde der 45-Jährige allerdings niemals über sich selbst sagen. Aber seine rund 1500 Mitarbeiter und Investoren, die hier Projekte realisieren wollen – oder auch viele der 295.000 Bürger – dürften das so sehen. Seit Mai vergangenen Jahres regiert Grote in Mitte. Sein Titel ist Bezirksamtsleiter, so die offizielle Bezeichnung. Für andere ist der Jurist der Bezirksbürgermeister oder vielleicht sogar der Bezirksfürst.

Zu dem Amt kam er eher zufällig. Nachdem die elfjährige Chantal in einer Wilhelmsburger Pflegefamilie gestorben war, musste der damalige Bezirksamtsleiter Markus Schreiber (SPD) seinen Posten räumen: „Markus Schreiber, er ist ein langjähriger Freund, hat mich gefragt, ob ich sein Nachfolger werden möchte. Ich habe ja gesagt und mich damit für einen völlig neuen Lebensweg entschieden.“ Aus dem Rechtsanwalt und SPD-Bürgerschaftsabgeordneten mit Fachgebiet Stadtentwicklung wurde mit der Wahl durch die Bezirksversammlung ein politischer Beamter – gewählt für sechs Jahre.

Wenn sich die politischen Verhältnisse ändern, derzeit koalieren hier FDP und SPD, kann er auch jederzeit abgewählt werden. Doch darüber macht sich Andy Grote keine Gedanken. Er sitzt in seinem Büro in der 9. Etage am Klosterwall, die HafenCity im Blick. Das Büro ist nüchtern eingerichtet. Nur ein Stadtplan, der den Bezirk Mitte zeigt, hängt hinter seinem Schreibtisch. „Dieser Job ist großartig, es ist ein Privileg. Ich habe Respekt vor dieser Aufgabe.“ Das Wichtigste, sagt er, seien seine Mitarbeiter. Es gibt viel zu tun. Immens viel. Wenn es zum Beispiel um städtebauliche Entwicklung geht, ist der Bezirk Mitte ganz vorn. In den kommenden Jahren sollen 12.000 neue Wohnungen entstehen. Die Diskussion um den Abriss der maroden Esso-Häuser am Spielbudenplatz auf dem Kiez will nicht enden, obwohl ein inzwischen viertes Gutachten klar die Einsturzgefahr festgestellt hat: „Es führt an dem Abriss kein Weg mehr vorbei. Wer etwas anderes fordert, lebt nicht in der Realität.“ Klare Worte, die ihm nicht nur Freunde machen auf dem Kiez.

Dabei lebt Grote seit 14 Jahren mitten auf St. Pauli. Bars, Clubs und andere Etablissements sind seine Nachbarn. Seine Augen leuchten, wenn er von seiner Wahlheimat spricht: „St. Pauli ist der spannendste Stadtteil auf der ganzen Welt. So viel Leben auf so kleinem Raum, das gibt es sonst nirgendwo.“ Er mag, dass die Menschen hier so unterschiedlich sind, was Herkunft, Job und Ansichten angeht: „Aber es funktioniert.“ Auf St. Pauli könnte er wohl auch als Gästeführer arbeiten. In der Kneipenszene kennt er sich gut aus. Als der „Silbersack“ nach dem Tod von Wirtin Erna Thomsen vor der Schließung stand, rettete er die „Herzkammer von St. Pauli", so nennt Grote das Lokal unweit der Reeperbahn, gemeinsam mit vielen anderen Stammgästen vor der Schließung: „Es gibt keine Kneipe, in der die Menschen sich völlig klassenlos und ohne Vorbehalte treffen wie hier.“

Dabei hat seine Vergangenheit so gar nichts vom schrillen Kiezleben: Geboren in der Nähe von Osnabrück, zog es die Familie nach Büsum. Ein beschaulicher Badeort an der Nordsee. Andy Grote, der einen jüngeren Bruder hat, verdiente sein erstes Geld als Strandkorbwärter: „Eine schöne Kindheit, aber nach dem Abitur musste ich raus.“ Es zog ihn in die große weite Welt: Zwei Jahre war er bei der Marine. Danach das Jurastudium in Hamburg, und dabei entdeckte er seine Leidenschaft für die Politik. Mit 28 Jahren trat er in die SPD ein. „Die SPD war für mich schon immer ein moderne fortschrittliche Partei. Sie steht für Chancengleichheit.“ Seine Förderer waren Genossen wie der legendäre Bausenator Eugen Wagner, für den Andy Grote als Referent in der Baubehörde gearbeitet hat. In der Bürgerschaft war er auffallend aktiv, stellte häufig Kleine Anfragen und Anträge. In der Partei genießt er Respekt und gilt als durchsetzungsstark. „Politik ist wie eine Familie, da gibt es auch immer mal wieder Interessenskonflikte. Man muss Kompromisse eingehen und natürlich auch Absprachen treffen können.“

Sein Arbeitstag beginnt meist um 8.30 Uhr und endet oft erst am späten Abend. Dann steht Andy Grote zum Beispiel mit Theatermacher Corny Littmann und Lilo Wanders mit einer Flasche Astra vom Schmidt Theater am Spielbudenplatz zusammen. Er ist locker, gelöst und lacht viel. Aber richtig abschalten vom Job ist ihm auch wichtig: „Das kann ich am besten an der frischen Luft beim Laufen oder Radfahren.“ Andy Grote ist keiner, der sein Privatleben in den Medien ausbreitet. Nur soviel: Er hat keine Kinder, ist nicht verheiratet, hat eine Freundin. Und (versteckte) Ambitionen auf ein Senatorenamt. Auch das würde er so nie sagen. Stadtentwicklungssenator würde ihm gut stehen – oder? Er hält einen Moment inne, lächelt verschmitzt: „Ich bin Bezirksamtsleiter und muss mich erst mal in diesem Amt beweisen.“