Die Stiftung „Ein Platz für Kinder“ baut ein Schutzhaus für Drei- bis Zehnjährige, die Missbrauch oder Gewalt erlebt haben

Jede Woche kommen in Deutschland im Durchschnitt drei Kinder durch Gewalt oder Vernachlässigung ums Leben. Außerdem wurden 12.444 Fälle von sexuellem Missbrauch von Kindern registriert, viele Fälle blieben jedoch im Dunklen. Diese Zahlen des Bundeskriminalamts von 2011 sind alarmierend. Wieso werden solche Verbrechen an Kindern begangen? „Weil diese Kinder in der Gesellschaft keine Lobby haben“, meint die Stiftung „Ein Platz für Kinder“, die nun in Hamburg die Initiative ergriffen hat.

„Wir wollen den Leidensweg von Kindern beenden, die durch sexuellen Missbrauch und Misshandlung traumatisiert sind. Wir wollen ihrem Albtraum ein Ende bereiten, ihnen einen Zufluchtsort bieten“, sagt Johanna Stengel, 37, Gründerin der Stiftung.

Dieser Ort soll die Mattisburg werden – der Name ist aus Astrid Lindgrens Buch „Ronja Räubertochter“ entliehen, und er soll ein Platz werden, wo missbrauchte und gewaltgeschädigte Kinder im Alter von drei bis zehn Jahren wieder lernen können, zu vertrauen und sich fallen zu lassen, ohne sich zu fürchten.

Die Wände dieser Einrichtung an der Heidlohstraße97 stehen schon. Vor einer Woche legte Johanna Stengel mit Hamburgs ehemaligem Bürgermeister Henning Voscherau, den Architekten und Andreas Weber, dem Pädagogischen Vorstand der Großstadt-Mission Hamburg-Altona, in Schnelsen feierlich den Grundstein für die Mattisburg. Die Einweihung des Hauses ist für den 1.Mai 2014 geplant. „Wir möchten betroffenen Kindern ihr Recht auf eine Kindheit zurückgeben. Eine Kindheit ohne Gewalt, psychischen Druck und ohne Angst“, sagt Johanna Stengel.

Ihr Anstoß, die Stiftung 2005 ins Leben zu rufen, war der schreckliche Tsunami in Asien, der Hunderttausende von Menschen das Leben kostete und ungezählte Kinder zu Waisen gemacht hat. Auch Freunde von Johanna Stengel ertranken.

Bisher hat die Stiftung sich auch im Ausland engagiert, derzeit stellt sie ein Waisenhaus in Port-au-Prince, Haiti, fertig. In Zukunft konzentriert sie sich auf die Etablierung von Häusern in Deutschland. Johanna Stengel: „Wir sehen die Probleme direkt vor unserer Haustür und sollten uns deshalb hier noch mehr engagieren als je zuvor.“

Die Hamburger Mattisburg ist das zweite Schutzhaus in Deutschland. Zuvor hat die Stiftung in Hannover eine Mattisburg initiiert, finanziert und gebaut. Das Prinzip ist es, die Schutzhäuser nach der Fertigstellung an lokale paritätische Träger zu übergeben – in Hamburg ist es die Großstadt-Mission Hamburg Altona e.V, ein Träger der Hamburger Jugendhilfe.

Das Hamburger Projekt ist anspruchsvoll und aufwendig. Der Bau des Hauses wird 1,2Millionen Euro kosten. Mehr als 700.000Euro davon hat Johanna Stengel dank vieler Spender schon gesammelt. „Immer wieder bin ich überwältigt von der großen Unterstützung Hamburger und auswärtiger Spender. Wir haben noch viele Anträge laufen und sammeln, wo wir können.“

In der Mattisburg können immer zehn Kinder gleichzeitig wohnen, die in der Regel das Jugendamt aussucht. Sie werden dort von Pädagogen, Erzieherinnen und Familienberatern betreut und gehen in umliegende Kitas und Schulen. Herausgenommen aus der Familie werden Kinder vom Jugendamt bei akutem Missbrauch oder schwerer Gewalt, wobei man besonders darauf achtet, dass der Kontakt zu den Familien aufrechterhalten bleibt, indem man die Familienmitglieder mit betreut.

Bis zu sechs Monate lang dauert die Betreuung in einer diagnostisch-therapeutischen Krisengruppe, in der die Kleinen das Rüstzeug für ihre Zukunft bekommen sollen. Einmal in der Woche können die Eltern ihre Kinder besuchen. Auch sie werden therapeutisch unterstützt, wenn sie das möchten.

Ziel ist, dass die Kinder später in ihre Familie zurückkönnen. Missbrauchte Kinder werden jedoch in enger Zusammenarbeit mit den Jugendämtern an professionelle Pflegefamilien vermittelt. „So will man verhindern, dass Kinder weiter seelisch und körperlich erkranken oder selbst zu Tätern werden“, sagt Johanna Stengel.

In der Mattisburg können immer zehn Kinder gleichzeitig wohnen, die in der Regel das Jugendamt aussucht.