Vor gut 30 Jahren entdeckten Altonaer den Platz der Republik zum Boulespielen. Bis heute genießen die Pioniere von einst dort französische Lebensart

Klein-Frankreich auf dem Platz der Republik: Die Grünanlage zwischen Altonaer Rathaus und Museum ist das Eldorado der Lebenskünstler, Individualisten und Paradiesvögel. Traditionell frönt dort eine multikulturelle Clique dem frankophilsten aller Freizeitvergnügen: Boule. Wer dem „Schweinchen“ mit seiner Eisenkugel am nächsten kommt, gilt im Park als König.

Die Kulisse stimmt. Müßiggänger gehen spazieren, Verliebte laben sich am Herbstzauber, Hunde genießen den Wassernebel am Stuhlmann-Brunnen. Der Nachmittag steht still. Idylle inmitten der Großstadt. Zum guten Ton gehört ein dezentes Klacken – unregelmäßig, aber immer wieder. Hervorgerufen wird dieses Geräusch von zwei Dutzend Männern und ein paar Frauen, die konzentriert in Viererkreisen beisammenstehen und wie gebannt den Wurf kleiner Eisenkugeln verfolgen. Von wegen eine ruhige Kugel schieben, Rotwein trinken, rauchen und philosophieren: Dieser Sport strengt an.

Keiner weiß das besser als Werner Volckmann. Der 66-Jährige ist ein alter Fuchs. Und vor allem weiß er eine Menge über den Lauf der Kugeln wie den der Welt. Die Lehre: Der Kopf entscheidet, wo und wie das Eisen fällt. Strategie, Augenmaß und Fingerspitzengefühl sind der halbe Sieg. Früher war der Pensionär Studienrat am Gymnasium Blankenese. Seit er vor drei Jahrzehnten im Urlaub südlich von Bordeaux das liebste Spiel der Franzosen auch für sich entdeckte, ist der Mann vom Boule-Bazillus befallen.

Oberstudienrat a.D. Werner (hier siezt sich wirklich niemand!) poliert seine Eisenkugel mit einem Samttuch, wiegt sie gedankenverloren in der rechten Hand, umfasst sie schließlich von oben, macht einen Ausfallschritt, geht in die Knie, nimmt Maß, schwingt den Arm und wirft in hohem Bogen. Wie ferngesteuert zieht die Kugel ihre Bahn. Klack! Volckmann hat die gegnerische Kugel aus der besten Position weit ins Abseits katapultiert und sich selbst sehr nah am „cochonnet“ platziert, dem „Schweinchen“. So heißt die kleine, farbige Holzkugel im Zentrum des Boule. Der Legende nach verwendeten römische Legionäre im besetzten Gallien einst gegrillte Spanferkel als Ersatz. Der Gewinner durfte zubeißen. Klingt klasse, muss aber nicht stimmen.

Werner Volckmanns Meisterwurf heißt „Carreau“. Mehr geht nicht. Die Umstehenden machen große Augen, einige donnern die Eisenkugeln in ihren Händen gegeneinander. Das bedeutet Applaus. Der Umgang der Spieler auf dem vom Bezirksamt errichteten Boulodrom im Park ist freundschaftlich und fair. Manchmal gibt’s auch Zoff – wie oft, wenn Individualisten und Freigeister aufeinanderprallen. Beim Schach oder Skat ist das nicht anders. Gut für Werner, dass er im Freundeskreis Gleichgesinnter loslegen kann. Harald Riede ist dabei. Der 77-jährige Banker, Kunstgeschichtler und Maler ist Gründungsvater und Senior in Personalunion. Ende der 70er-Jahre war er einer der Ersten, der den aus Frankreich importierten Feriensport auf dem Platz der Republik ausübte.

Dritte im Bunde dieses Duells ist Daniela Berger, Lehrerin in Barmbek mit Wohnsitz Ottensen. Auch sie ist seit gut 30 Jahren dabei. Auch Abraham Karimi, Chemieingenieur, Kameramann und Meister für Veranstaltungstechnik spielt leidenschaftlich Boule. Abraham stammt aus Afghanistan und lebt seit 1975 in Deutschland. Zwischen 2007 und 2010 zeigte er seine Künste in der Bundesliga. In Hamburg gibt es aktuell 14 Vereine, etwa 400 organisierte und etwa doppelt so viele Hobby-Spieler.

„Ohne sportliche Fitness geht gar nichts“, philosophiert Werner Volckmann. „Boule ist Geisteshaltung und Genuss.“ Spricht’s und zieht eine Flasche Rotwein aus dem Rucksack.