Ahnenforschung und Begräbniskultur: In Ohlsdorf werden Grabinschriften in eine Datenbank gestellt

Nichts ist für die Ewigkeit, auch ein Grabstein nicht. Als eine kleine Gruppe von Familienforschern vor sechs Jahren in der Zeitung las, dass die Besitzer von abgelaufenen Grabstellen auf einem Friedhof ihre Steine abholen könnten, wenn diese nicht zu Bauschutt verarbeitet werden sollen, hatten sie die Idee, die Grabsteine für die Ewigkeit aufzubewahren. Holger G. F. Holthausen gehört zu den Gründungsmitgliedern des „Grabstein-Projekts“, das sich zum Ziel gesetzt hat, auf Friedhöfen Grabstein für Grabstein zu fotografieren und das Ganze als „virtuellen Friedhof“ ins Netz zu stellen. Damit sollen sowohl kulturhistorische Aspekte der Begräbniskultur dokumentiert als auch wertvolle Datenquellen für Ahnenforscher gesichert werden. Inzwischen hat das Grabstein-Projekt auch den Ohlsdorfer Friedhof erreicht.

„Es ist schade, wenn bei Grabstellenauflösungen Steine und Inschriften einfach verschwinden“, sagt Holthausen. „Wir suchen Hobbyfotografen, die auf Friedhöfen alles abfotografieren, und stellen die Daten in unsere Datenbank.“ Die gehört zum Verein für Computergenealogie, der deutschlandweit rund 3500 Mitglieder hat und seine Datenbanken kostenlos zur Verfügung stellt. „Wir haben mit dem Projekt in Norddeutschland begonnen, inzwischen ist es ein Selbstläufer und hat viele Genealogen motiviert.“ Mittlerweile sind 900 Friedhöfe aus Deutschland, aber auch aus Tschechien und Polen archiviert, weitere 250 sind in Vorbereitung. „Eine Hamburger Mitarbeiterin hat im vergangenen Jahr gescherzt, wir könnten ja auch Ohlsdorf erfassen“, berichtet Holthausen.

Der mit gut 240.000 Grabstellen größte Parkfriedhof Europas schien eine Sisyphusaufgabe, aber Holthausen nahm den Vorschlag ernst. „Vergangenen Herbst haben wir begonnen, auch die Grabsteine des Ohlsdorfer Friedhofs zu fotografieren.“ Drei bis vier Jahre wird es dauern, schätzt er, bis alle Grabsteine abgelichtet sind, und für dieses Projekt werden nun Fotografen gesucht, die ehrenamtlich nach Plan Grabsteine fotografieren. „Es gibt eine genaue Anleitung“, erklärt Holthausen. „Oberste Regel ist, dass man auf einem Friedhof Respekt zeigt.“ Grabstellen dürfen nicht betreten, an den Steinen und dem Bewuchs darf nichts verändert werden. „Friedhöfe gelten als öffentlich, so dass ein Grabsteinfoto gegen keine Datenschutzauflagen verstößt“, stellt der Familienforscher klar. Die Projektleitung hat sich rechtlich beraten lassen. Dennoch sollte der Fotograf sich bei der Verwaltung ankündigen, um nicht für Irritationen zu sorgen.

Die Projektorganisation hat einen Grabstellenplan, den sie Sektor für Sektor aufteilt und in Tagesportionen an ehrenamtliche Fotografen vergibt. „Anschließend bekomme ich die CD, kontrolliere die Fotos und lade sie in das Projekt hoch.“ Dazu werden für jedes Foto die Grabsteininschriften erfasst. „Jeder Fotograf wird als Urheber genannt und behält das Copyright.“ Die Daten werden sorgfältig Korrektur gelesen und finden sich alphabetisch nach Nachnamen geordnet im Netz. Erst wenn man einen Namen anklickt, wird man zum zugehörigen Foto weitergeleitet. „Es handelt sich um ein rein genealogisches Projekt“, sagt Holthausen, „aber auch Friedhofsverwaltungen, Steinmetze, Heimatforscher und Kulturhistoriker interessieren sich dafür.“

Einfach ist die Aufgabe nicht. „Wir bekommen viele Daten und haben zu Hause Schriftmusterbücher, um verschiedene Frakturschriften entziffern zu können“, sagt Holthausen. Dazu kommen regionale Besonderheiten, etwa wenn fünf Generationen gleiche Namen tragen und nur durch Nummern unterschieden sind. Auch Skurriles bleibt nicht aus. Unter der Rubrik „Besondere Gräber“ befinden sich ein Grab mit einem Bierkasten, ein Camper mit Wohnwagenbild oder ein Gespenst als Grabstein. „Das Grabstein-Projekt stößt inzwischen europaweit auf Aufmerksamkeit“, sagt Holthausen. „Wir haben Anfragen aus Spanien, Irland, Großbritannien und der Schweiz. Wir erhielten auch Rückmeldungen, dass über das Projekt sogar durch Kriegswirren verschollene Familienmitglieder wiedergefunden werden konnten.“

Es ist schade, wenn bei Grabstellenauflösungen Steine und Inschriften einfach verschwinden.