Tim Becker und Sven Erhorn betreiben das Noho, in dem Kiezgänger über 30 willkommen sind

Da ist sie und funkelt vor sich hin: die Diskokugel. 180 Kilo schwer, zweieinhalb Meter im Durchmesser groß. Sie ist quasi das Epizentrum des Noho Clubs. Um sie herum windet sich ein Spiegelmosaik, Kristallsteine hängen über den Bars, die Wände sind betongrau. „Die Kugel wollten wir von Anfang an unbedingt haben“, sagt Club-Mitgründer Sven Erhorn, 34. „Im Endeffekt haben wir den restlichen Laden um sie herumgebaut.“ Und dafür wurde alles möglich gemacht. So wurde etwa eigens für die Lieferung der nicht gerade türrahmengeeigneten Dekoration das Dach abgehoben und ein Kran besorgt, der die Kugel in den Raum hob.

Das Noho, zusammengesetzt aus dem Standort Ecke Nobistor/Holstenstraße, hat seit Juni geöffnet und bietet neben zwei Dancefloors im vierten und fünften Stock auch eine Dachterrasse mit Blick auf St.Pauli. Früher war in diesen Räumen das Museum Beatlemania untergebracht. Heute tanzen hier Nachtschwärmer. Soweit nichts Besonderes, nur wenige Meter entfernt gibt es massig Clubs. Doch wer an einem Sonnabendabend einen Blick auf die Tanzfläche unter der Diskokugel wirft, stellt schnell einen Unterschied fest: Das Publikum ist irgendwie anders.

„Wir peilen ein Publikum um die 30Jahre und drüber an“, sagt Erhorn. Das bedeute aber nicht, dass eine 23-Jährige nicht auch herzlich willkommen sei, aber eben auch nicht mehr als eine schicke 40-Jährige. „Die Mischung macht es“, sagt Club-Mitgründer Tim Becker, 33. „Das ist wie beim Kochen. Erst durch unterschiedliche Zutaten entsteht was Gutes.“ Das wollen die beiden auch an der Tür des Clubs umsetzen. „Da muss man auch diese typische Engstirnigkeit ablegen. Wir sagen zum Beispiel nicht grundsätzlich, dass keiner mit kurzer Hose reinkommt“, sagt Erhorn. Stattdessen sollen die Türsteher in kurzen Gesprächen herausfinden, ob der Mensch in den Laden passt, nicht ob sein Outfit in den Laden passt. Das kostet natürlich Zeit und an manchen Wochenenden hakt es auch noch, und potenzielle Gäste werden mit einem „zu casual“ (leger) abgewiesen. Denn nicht alle Türsteher haben das Konzept schon verinnerlicht.

Das Noho-Duo Tim Becker und Sven Erhorn ist schon seit vielen Jahren befreundet. Mit etwa 15 Jahren lernten sich die beiden Harburger bei einer Skireise der Landjugend Harburg kennen. Knapp zwei Jahre später waren es nicht mehr die Berge der Alpen, die sie vereinten, sondern der Hamburger Berg und alles drum herum. Die beiden wurden zu Kiez-Gängern und verbrachten ihre Wochenenden auf der Reeperbahn. Mal hatten sie Glück und kamen trotz fehlender Volljährigkeit in einen Club rein, mal streunten sie einfach durch die Gegend und genossen die Atmosphäre. „Der Kiez war unser Spielplatz“, sagt Becker. Sie mochten die Gegensätze, die spannenden Menschen, das Abenteuer. „Andere guckten Fernsehen, wir gingen auf die Reeperbahn“, sagt Erhorn. Die S3 brachte die beiden über die Elbe.

Aber auch untertags war die Reeperbahn das Revier der beiden. Einmal durften sie sich auch einen Club tagsüber von innen ansehen. Diese Art der Gastronomie faszinierte die beiden. Sie bekamen Club-Fieber. Becker machte eine Ausbildung zum Hotelkaufmann und zog mit 17 Jahren in die Davidstraße. Erhorn machte in Harburg eine Ausbildung zum Elektroniker und wohnte die meiste Zeit bei seiner Freundin in Hamburg – oder in seinem VW-Bus. Der hatte alles, was Erhorn brauchte: eine Matratze und eine Diskokugel. Die beiden wurden älter, aber die Liebe zum Kiez und zur Club-Szene blieb.

Durch Zufall landete Becker 2012 in den Räumen des ehemaligen Beatles-Museums und schrieb sofort eine SMS an Erhorn: „Lust über was Anderes nachzudenken? Lass uns uns mal Montag treffen.“ Nach diesem Treffen stand ihr Plan fest. „Wir wollten den Laden machen, in dem wir selbst gern gefeiert hätten“, sagt Erhorn. Neben dem durchmischten und älteren Publikum gab es noch weitere Sachen, die sie anders machten: das DJ-Pult sollte zum Beispiel möglichst klein und kein „Präsidentenbalkon“ sein, die Fenster wurden nicht abgedunkelt, so dass man merkt, wenn der Morgen graut. Und vor allem wollten sie eben die Diskokugel.

Das ist wie beim Kochen. Erst durch unterschiedliche Zutaten entsteht was Gutes.