In Wandsbek ist die Ammersbek besonders betroffen. Abwasserexperte fordert neue Techniken

Das Schlafmittel Oxazepan macht Flussbarsche gefräßig, das Schmerzmittel Ibuprofen greift in das Paarungsverhalten der Fische ein. Und ein bestimmter Medikamenten-Cocktail im Wasser löst Verweiblichungstendenzen bei männlichen Fischen aus. Die Alster-Zuläufe sind erheblich mit solchen Medikamenten-Cocktails belastet. Politiker, Umweltschützer und Wissenschaftler fordern deshalb jetzt Konsequenzen aus den hohen Belastungen der Hamburger Fließgewässer und einen besseren Schutz von Mensch und Umwelt.

Professor Ralf Otterpohl, Leiter des Arbeitsbereiches Kommunale und industrielle Abwasserwirtschaft an der Technischen Universität Hamburg-Harburg (TUHH), sagte dem Abendblatt: „Die hohe Zahl und die sehr breite Palette von Mikroschadstoffen in unseren Gewässern ist ein Blindflug ohne Not. Niemand kann die Folgen beurteilen.“ Sein Vorschlag: Die Klärwerke sollten mit sehr feinen Filtern ausgerüstet werden. „Außerdem brauchen Krankenhäuser eigene Kläranlagen.“

Jens Kerstan, umweltpolitischer Sprecher und Vorsitzender der Grünen-Bürgerschaftsfraktion, sagte: „Arzneimittel in unseren Gewässern, die Fische und Pflanzen schädigen können, sind ein ernstes Problem.“ Hamburg könnte mit einfachen Mitteln mehr tun, um die unsachgemäße Entsorgung von Medikamenten in den Griff zu bekommen. „Wir sollten zur jahrelang gewährten Rücknahme durch die Apotheken zurückkehren.“ Ähnlich sieht das Kersten Artus, gesundheitspolitische Sprecherin der Linken-Fraktion in der Bürgerschaft: „Wir fordern, dass endlich eine bundesweit einheitliche Regelung der Zurücknahme von Medikamenten sowie die gesetzliche Verpflichtung zu schärferen Untersuchungen von Trinkwasser vorgenommen wird.“

Der Umweltausschuss der Bezirksversammlung Wandsbek hat sich unterdessen in öffentlicher Sitzung mit den erhöhten Arzneimittel-Konzentrationen in den Alster-Gewässern beschäftigt, besonders in der Ammersbek. Udo Rohweder vom Hamburger Institut für Hygiene und Gesundheit erklärte dem Gremium, die Frachten an Schmerzmitteln, Betablockern oder Lipidsenkern in den Gewässern seien inzwischen größer als die von Pflanzenschutzmitteln – und zwar nicht nur in Hamburg, sondern bundesweit. „Höchste Konzentrationen“ würden auch bei Röntgenkontrastmitteln gemessen.

TU-Professor Ralf Otterpohl hält die Nachrüstung der Klärwerke für ein dringend notwendiges Mittel, um den Medikamenten-Eintrag ins Wasser deutlich zu reduzieren. Der Experte favorisiert neben dem bisherigen Beckensystem zusätzliche technische Verfahren und sehr feine Filter (Nanofiltration). „Die Kosten für den Verbraucher gehen von einigen Cent bis 20 oder 30Cent pro Kubikmeter, die dann in etwa pro Person und Woche je nach Wasserverbrauch anfallen“, schätzt er.

Nach Otterpohls Ansicht hat das Unternehmen Hamburg Wasser sein System im Vergleich zu anderen Betreibern „sehr gut weiter entwickelt“ und treibt mit dem Baugebiet „Jenfelder Au“ ein innovatives Projekt voran, das die Mikroschadstoffe eliminieren kann. „Auch im Großklärwerk sollte Hamburg jetzt einen Schritt vorangehen“, fordert Otterpohl, der seit 1998 an der TU Harburg lehrt. Damit würden neben den Pharmazeutika-Rückständen auch sehr bedenkliche Krankheitserreger zurückgehalten, die heute bei den meisten Klärwerken im Ablauf zu finden sind.

Die Krankenhäuser mit ihren Patienten gehören mit zu den Verursachern der relativ hohen Medikamenten-Rückstände in den Fließgewässern. Otterpohl: „Dort gibt es zwar Sammelsysteme für Arzneimittel-Restbestände und eigene Entsorgungswege der Abteilungen für Nuklearmedizin. Aber die Patienten geben einen großen Teil der eingenommenen Mittel über den Urin ins Abwassersystem ab.“ Was später in den Flüssen zu messen ist. Otterpohls Vorschlag: „Zur dringend notwendigen seuchenhygienischen Vorsorge und zum Entfernen von Pharmazeutika sollten Krankhäuser eigene Kläranlagen bekommen.“ Der heutige technische Stand sei „riskant“ und hinke wegen langjähriger politischer Nachlässigkeit den technischen Möglichkeiten weit hinterher.

Der Mensch, der Medikamente konsumiert und ausscheidet, aber auch unsachgemäß in die Toiletten kippt, ist nach wie vor der Verursacher der hohen Wasserbelastungen. Wolfram Hammer, Sprecher des Arbeitskreises Wasser beim BUND in Hamburg, glaubt sogar, dass Hamburgs Abwassersystem viele undichte Stellen hat. „Eine wahrscheinliche Hypothese lautet, dass unser Abwassersystem so unvollkommen ist, dass mehr unbehandeltes Abwasser in die Oberflächengewässer gelangt als zulässig.“

Die Patienten geben einen großen Teil der eingenommenen Mittel über den Urin ins Abwassersystem ab.