Nach 334 Jahren Odyssee kommt eine in St. Petri gefertigte seltene Mini-Geige in St. Georg an

Die Holzkiste aus den USA wurde von einer Kunstspedition angeliefert, wog gut sieben Kilogramm und beinhaltete einen Kunstschatz, der mit Geld nicht zu bezahlen ist: eine Pochette, Baujahr 1679. Mit spitzen Fingern und Handschuhen befreite Sammlungsleiter Klaus Mewes die Tanzmeistergeige aus dem dicken Schaumstoffpolster, um sie vorübergehend im Depot des Museums für Kunst und Gewerbe unterzubringen. Nach mehr als drei Jahrhunderten Odyssee durch Europa und die ganze Welt ist das einmalige Instrument wieder in der Stadt seiner Herstellung eingetroffen. Letzter Besitzer war ein 91 Jahre alter Pastor im US-Bundesstaat Washington.

„Der Erwerb ist eine kleine Sensation“, sagt Kurator Olaf Kirsch. „Dieses Schmuckstück kann in der Einzigartigkeit seiner Leistung mit einer Stradivari verglichen werden.“ Wohl ab Mitte September wird die 41 Zentimeter lange und knapp 400 Gramm schwere Tanzmeistergeige aus Zypressenholz, Elfenbein und Schildpatt als „Objekt des Monats“ in einer Vitrine im Eingangsbereich des Museums für Kunst und Gewerbe am Steintorplatz zu sehen sein. Später soll sie die 700 Exponate umfassende Instrumentensammlung adeln. Nicht nur die Fachwelt ist begeistert.

Zuvor muss Friedemann Hellwig in der Werkstatt noch kunstvoll Hand anlegen. Zwar ist der Korpus der Pochette verblüffend gut erhalten, doch müssen noch winzige Stimmwirbel aus Rinderknochen angefertigt werden, um die Funktion zu verdeutlichen. Dabei ist Hellwig in seinem Element: Der 75-jährige Lübecker mit Wohnsitz Blankenese ist gelernter Geigenbaumeister, wirkte viele Jahre als Restaurator für Musikinstrumente im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg und war von 1988 bis zur Pensionierung 2003 Professor für Konservierung und Restaurierung für Kulturgut aus Holz an der Fachhochschule Köln.

Sachverstand, Herzblut und Kontakten des Professors ist es letztlich zu verdanken, dass die Pochette jetzt wieder in der Hansestadt ist. In der Werkstatt des berühmten Instrumentenbauers Joachim Tielke im Kirchspiel St. Petri in der Hamburger Altstadt wurde das gute Stück anno 1679 in wochenlanger Mühe fertiggestellt. Der Auftraggeber des nun wiedergefundenen Musikinstruments ist unbekannt, muss indes Stil und Vermögen gehabt haben.

Das Miniaturformat dieser Geigen erlaubte es den Tanzlehrern im 17. und 18. Jahrhundert, gleichzeitig eine Melodie zu spielen und die entsprechenden Schritte vorzuführen. Die tatsächlich zart besaiteten Streichinstrumente konnten in länglichen, eingenähten Taschen im Rockschoß getragen werden. Für Königshäuser und den Adel wurden besonders aufwendige Exemplare hergestellt. Der in Hamburg ansässige Joachim Tielke galt bis zu seinem Tod und der Beerdigung in St. Nikolai anno 1719 in ganz Europa als ein Meister dieser Kunst. Und hätte die Pochette nicht irgendwann ausgespielt, wäre sein Name heute wahrscheinlich so berühmt wie der Stradivaris.

Die wieder aufgetauchte Pochette ging im Laufe von mehr als drei Jahrhunderten durch viele Hände, von denen die meisten nicht mehr bekannt sind. Fest steht, dass sie von einer Frau Helene Bruckner zu Beginn des Zweiten Weltkriegs von Polen nach Australien gebracht wurde. Ihre damals zehnjährige Tochter bewahrte das Stück nach dem Unfalltod der Mutter in den USA vor dem Sperrmüll und schenkte sie 2011 dem Pastor Richard L. Edmonds zu dessen 90. Geburtstag.

Durch Zufall stieß sein Assistent im vergangenen Jahr im Internet auf ein Buch, das Professor Friedemann Hellwig gemeinsam mit seiner Ehefrau Barbara im Deutschen Kunstverlag veröffentlicht hatte. Das 456 Seiten umfassende und gut zwei Kilo schwere Werk beschäftigt sich mit dem Wirken des Hamburgers Joachim Tielke. Der Titel: „Kunstvolle Musikinstrumente des Barock“. Zur Vollendung dieses Buches waren die Hellwigs monatelang durch alle Welt gereist, um die kleinen Schätze aus Hamburger Manufaktur zu dokumentieren und fotografieren.

Schließlich war Pastor Edmonds aus einem Vorort Seattles im Nordwesten der Vereinigten Staaten zum Verkauf bereit. Seine Geldreserve sei verbraucht, teilte der nunmehr 91 Jahre alte Reverend via Mail mit, und von irgendetwas müsse er ja auch leben. Das Geschäft ging reibungslos über die Bühne. Ermöglicht wurde es von der Stiftung für Hamburger Kunstsammlungen, die einen stattlichen Betrag zur Verfügung stellte. Über die genaue Höhe schweigen die Hanseaten. Aber was ist schon Geld, wenn es um ein materiell nicht zu bezifferndes Unikat geht?

Dennoch verzögerte sich der Transport um Monate. Ursache war das US-Handelsverbot für Elfenbein und Schildpatt. Erst eine Expertise des Hamburger Professors Friedemann Hellwig machte den Weg frei. Das ging nicht als Mail, sondern nur per Post, weil eine eigenhändige Unterschrift mit blauer Tinte Voraussetzung war. An diesem Stil zumindest hat sich in den vergangenen 334 Jahren nichts geändert.