Bei Sturmflut oder Großbrand stellt der Versandhandelskonzern Kleidungspakete zur Verfügung

Kleidung, so weit das Auge reicht. Tausende Jeans und Hemden hängen in der weitläufigen Lagerhalle. Sauber eingeschweißt in Plastikfolie warten grüne Steppjacken, Blusen mit gewöhnungsbedürftigen, tellergroßen Punkten und warme Mäntel mit Fellkragen auf ihre neuen Besitzer.

Ein Stockwerk tiefer surren Gabelstapler durch die fast menschenleeren Gänge. Turnschuhe, Socken, T-Shirts und Unterwäsche lagern hier in einheitlichen, braunen Kartons. Nur das Computersystem weiß, wo genau sich welche Ware befindet.

Alle diese Kleidungsstücke haben zwei Dinge gemeinsam: Sie haben sich beim weltgrößten Versandhändler Otto als unverkäuflich erwiesen. Und sie könnten jederzeit an hilfsbedürftige Hamburger verteilt werden, sollte die Hansestadt in absehbarer Zukunft von einer Sturmflut, einem Brand-Inferno oder einer anderen Katastrophe heimgesucht werden.

„Wir haben mit der Hamburger Innenbehörde ein Ablaufszenario entwickelt, um der Stadt im Bedarfsfall unbürokratisch Hilfspakete mit Kleidung zur Verfügung stellen zu können“, sagt Frank Stolle, Leiter Großhandel für die Vermarktung der sogenannten Warenüberhänge. Als großes Hamburger Unternehmen sei es dem Konzern ein besonderes Anliegen, der Stadt und ihren Bürgern bei einer etwaigen Katastrophe zur Seite zu stehen. „Wir alle hoffen natürlich, dass ein solches Szenario niemals eintritt, doch für den Fall sind wir gerüstet.“

Mehrere Jahre hat der Bramfelder Konzern mit der Innenbehörde über eine entsprechende Vereinbarung und die Einrichtung einer Alarmkette verhandelt. Ruft nun die Innenbehörde in der Hansestadt den Katastrophenfall aus und fordert Kleidung an, klingelt in der rund um die Uhr besetzten Sicherheitsabteilung von Otto das Telefon. Von dort wird die Anforderung weitergeleitet.

„Wir können zwei unterschiedlich große Hilfspakete mit 10.000 oder 50.000 Kleidungsstücken zusammenstellen“, sagt Stefan Seifert von der Firma Meyer & Meyer, die die Warenbestände von Otto in dem Logistikzentrum managt. „Für das kleine Paket brauchen wir maximal 24Stunden, für das große 48Stunden.“ Die kleine Lieferung ist grundsätzlich kostenlos, die große muss hingegen bezahlt werden.

Dabei werden die konkreten Pakete mit Socken, Hosen, Jacken oder Blusen jeweils aus den gerade verfügbaren Warenbeständen zusammengestellt. Hilfsdienste wie das Rote Kreuz oder das THW können dann bei uns vorfahren und die Pakete abholen“, sagt Stefan Seifert. Um für den Ernstfall gerüstet zu sein, erzeugt das Computersystem im Logistikzentrum jeden Tag Testaufträge für die Hilfspakete, die aber nicht scharf geschaltet werden, sondern lediglich in den Eingeweiden der Rechner schlummern. Nur einmal im Jahr werden im Rahmen einer Katastrophenschutzübung auch tatsächlich einige Päckchen von den Lagermitarbeitern gepackt.

Welche Schuhe oder Pullover die Hamburger im Katastrophenfall genau bekommen, lässt sich derzeit noch nicht sagen, da sich der Kleidungsbestand im Lager ständig ändert. Im Normalfall ist Otto nämlich bemüht, die Warenüberhänge so schnell wie möglich an andere Unternehmen weiterzuvermarkten. „Zu unseren Abnehmern zählen Großhändler im In- und Ausland, Postenhändler und auch Ebay-Powerseller“, sagt der Otto-Verantwortliche Frank Stolle. Einen Teil der Ware biete man den Kunden auch auf den eigenen Plattformen zu besonders günstigen Preisen an.

Laut Innenbehörde besteht die Zusammenarbeit mit Otto im Prinzip schon seit mehreren Jahrzehnten. Bereits nach der Sturmflut von 1962 und dann nach verschiedenen anderen Ereignissen seien die entsprechenden Vereinbarungen immer wieder erneuert worden, sagt Holger Poser, stellvertretender Referatsleiter Katastrophen- und Bevölkerungsschutz.

„Nach dem Atomunfall von Fukushima wurde von der Innenbehörde die Initiative erneut ergriffen und an die früheren Vereinbarungen erinnert.“ Es seien aber einige Veränderungen notwendig gewesen, da Otto im Gegensatz zu früher nicht mehr über ein eigenes Lager in der Stadt verfügt, sondern dafür auf den externen Dienstleister Meyer & Meyer zurückgreift.

Neben Otto ist die Innenbehörde derzeit auch noch mit der Hamburger Modekette Tom Tailor im Gespräch, um eine ähnliche Vereinbarung abzuschließen. Die Verhandlungen sind laut Poser derzeit zwar auf einem guten Weg, aber noch nicht abgeschlossen. Notwendig ist die Zusammenarbeit der Stadt mit den Unternehmen, da die Kleiderkammern von Hilfsorganisationen wie dem Roten Kreuz im Fall einer großen Katastrophe zu klein sind, um die Hamburger Bevölkerung zu versorgen. „Für kleinere Ereignisse reichen die Vorhaltungen der Hilfsorganisationen grundsätzlich aus“, sagt Poser. Wenn aber mehrere Tausend Personen betroffen seien, könne es zu Engpässen insbesondere bei den gängigen Kleidungsgrößen kommen.

Lange hat der Konzern mit der Behörde über die Einrichtung einer Alarmkette verhandelt.