Hobby-Historiker aus Blankenese beweisen: Karl Lagerfeld wurde am 10. September 1933 geboren

Nun wissen wir es ganz genau. Karl Lagerfeld, Modezar in Paris mit Geburtsort Hamburg, wird am 10. September 80 Jahre alt. Der Mann mit dem Silberzopf und den braunen Augen hinter dunkel getönter Brille hat sich gern ein paar Jahre jünger gemacht, mal fünf, mal drei Jahre, bis die Verwirrung in den Archiven nahezu perfekt war. Aber er wird 80. Beweisen können es Maike und Ronald Holst aus Blankenese.

Sie drucken in ihrem neuen Buch Lagerfelds Geburtsanzeige ab. Darauf geben „Otto Lagerfeld und Frau Elisabeth, geb. Bahlmann“, mit Wohnsitz Baurs Park in Hamburg-Blankenese, eine Hausnummer ist nicht angegeben, die Geburt ihres Sohnes bekannt. Mit einem blauen Seidenschleifchen ist ein kleines Extra-Kärtchen an der großen Karte befestigt. Darauf steht „Karl Otto“ und darunter „Sonntag, 10.September 1933“. Ein Sonntagskind also, das in diesem Jahr an einem Donnerstag einen runden Geburtstag feiert.

Wie kommt nun das Ehepaar Holst, sie Lehrerin, er Werbeberater, beide im Ruhestand, an dieses Dokument? Die Hobby-Historiker, die sich auf Hamburgs Westen spezialisiert haben: „Wir haben etwa zweieinhalb Jahre recherchiert für unser Buch mit dem Titel ,Blankeneser Frauen‘. Darin schreiben wir über bekannte und unbekanntere Frauen. Neben der Komponistin Felicitas Kuckuck, der Schauspielerin Elisabeth Flickenschildt und der Juristin und Politikerin Lore-Maria Peschel-Gutzeit stießen wir auch auf die Mutter von Karl Lagerfeld. Ein Blankeneser Notar, ein Spielkamerad von Lagerfelds drei Jahre älterer Schwester Christel, wusste eine Menge zu erzählen. Sein Vater war ebenfalls Notar in Blankenese gewesen und mit den Eltern Lagerfeld befreundet. Aus dessen Nachlass stammt die Geburtsanzeige.“

Da sage noch einer, was einmal im Internet erschienen ist, bleibt auf ewig auffindbar. Auch das Verwahren von Gedrucktem kann durchaus dauerhaft Informationen liefern. Die Autoren schrieben Lagerfeld an, berichteten von dem geplanten Buch und baten um ein Foto der Mutter, erhielten aber keine Antwort. Doch in einer Rezension des Buches im örtlichen Anzeigen-Magazin „Klönschnack“ erschien ein Bild der Beschriebenen. Es war dem Blatt aus dem früheren Freundeskreis von Karl Otto und seiner Schwester in Bad Bramstedt zugespielt worden. Dort hatte Vater Otto das Gut Bissenmoor erworben, wohin die Familie 1935 zog, wieder zurückkehrte und erst 1943 wieder aufsuchte, als in Hamburg Bomben fielen.

Über Lagerfeld ist viel geschrieben worden, über seine Mutter hat nur er manchmal in Interviews gesprochen. Daher weiß man auch, dass sie ihn zum Schnellredner mit der Aufforderung machte: „Sprich schneller, damit du mit dem Stuss, den du redest, bald zu Ende kommst.“

Sein Zeichentalent förderte sie auf sehr eigensinnige Weise. Als Karl Otto mit etwa zehn Jahren Klavier spielen lernen wollte und auf dem Flügel klimperte, meinte sie knapp: „Hör auf damit. Zeichne. Das macht weniger Lärm.“

Offenbar schätzte sie aber seine Arbeiten, denn sie versuchte, ihn an der Kunsthochschule Hamburg anzumelden – ohne Erfolg. Da sie das nicht akzeptieren wollte, brachte sie ihren Sohn auf eine Pariser Privatschule, die er mit Bravour absolvierte – der Beginn eines großartigen Berufslebens.

Elisabeth Bahlmann kam aus guter Familie. 1897 wurde sie als Tochter des Landrats Heinrich Maria Karl Bahlmann aus Beckum im Münsterland geboren. Als junge Frau hatte sie keine Lust auf Provinz und zog nach Berlin, das in den Goldenen Zwanzigern glitzerte und vibrierte. Dort wurde sie, gepflegt und gewandt wie sie war, Verkäuferin, ein Beruf, der jungen Frauen Einkommen und Selbstständigkeit bot. Fräulein Bahlmann arbeitete in einem Geschäft für Damenmode und verkaufte Lingerie, also Damenunterwäsche. Im Alter von 33 Jahren begegnete sie, die Umstände sind ungeklärt, dem Hamburger Kaufmann Otto Lagerfeldt, der damals noch ein T am Namensende führte. Er war 16 Jahre älter, Vater einer Tochter, deren Mutter bei der Geburt gestorben war. Thea Lagerfeldt heiratete später einen Grafen von der Schulenburg. Otto Lagerfeldt war ein Schulkamerad von Willy Hagenbeck und folgte dem Drang vieler junger Hamburger in die Ferne, ging nach Venezuela und San Francisco. Dort arbeitete er für die Carnation Company, die die frisch erfundene Dosenmilch in alle Herren Länder exportierte. Nach Hamburg zurückgekehrt, importierte sie der tüchtige Lagerfeld, der das T am Namensende vielleicht in den USA gekappt hatte, nach Deutschland. Später konnte er den Namen in Glücksklee ändern, die Milch selbst herstellen lassen und ein Vermögen machen. Das ermöglichte Frau und Kindern ein angenehmes Leben mit reichlich Personal in einem großen Haus am Blankeneser Elbhang.

Obwohl Elisabeth nicht gerade feinfühlig mit ihrem begabten Sohn umging, nie mit ihren Kindern schmuste und sich herzlich wenig um ihre Bildung und Erziehung kümmerte, hatten Mutter und Sohn ein enges Verhältnis. Sie besuchte Karl, der den Otto in seinem Namen kappte wie der Vater das T, häufig in Paris und mischte sich kräftig in sein Leben ein. So nörgelte sie an seiner Erscheinung herum und warf beim Aufräumen sein Tagebuch einfach fort. Nach dem Tod des Vaters kaufte der Sohn seiner Mutter ein Rokokoschloss mit 16 Zimmern in der Bretagne, in dem sie 1978 mit 81 Jahren starb. Die Urne wurde in der Schlosskapelle beigesetzt.

Der berühmte Sohn Karl Lagerfeld, oft als „Kaiser Karl“ oder „Karl der Große“ tituliert, hat vor Kurzem die Herbst/Winter-Kollektion von Chanel im Pariser Grand Palais vorgestellt – mit rauschendem Erfolg.

Er könnte jetzt entspannt ein elegantes Geburtstagsfest planen, doch vermutlich wird er eher an der nächsten Kollektion arbeiten und an das Datum auf der Karte mit dem blauen Seidenschleifchen überhaupt nicht denken.

Mutter Lagerfeld machte ihren Sohn zum Schnellredner und auf ungewöhnliche Weise zum großartigen Zeichner