Eine Flachdachvilla ruft das Werk des Architekten Richard Neutra wieder in Erinnerung

Wer an dem Haus vorbeigeht, fragt sich unwillkürlich: Wer war hier der Architekt? Nur diejenigen, die sich ein wenig auf diesem Feld auskennen, mögen unwillkürlich an Richard Neutra denken. Den großen Architekten aus Österreich, der 1923 nach Amerika emigrierte und dort mit seinen kalifornischen Flachdachvillen zu einem der führenden Architekten der Moderne avancierte. Doch Neutra ist 1970 gestorben – in Wuppertal, als er eine von ihm entworfene Villa dort besichtigte. Es heißt, er habe einen Herzinfarkt erlitten, als er sah, in welcher Umgebung das Haus entstanden war.

Neutra kann es also nicht gewesen sein, der dieses Haus in einer sehr beschaulichen Wohnstraße in Rissen realisiert hat. Wer denn dann?

Um das Rätsel zu lösen: Bauherren und Planer des Hauses sind Hamburger Eheleute. Beide sind Kreative. Peter Hamel ist freier Fotograf und Christine Kröger, ursprünglich auch Fotografin, ist offenbar ein Multitalent. Mal ist sie Journalistin, dann wieder entwirft sie Möbel oder sogar Häuser.

Die Idee, ein Haus ganz im Stil von Richard Neutra zu bauen, sei ihr 2010 gekommen. „Bei einer Ausstellung über sein Werk im Marta Herford Museum“, sagt die agile Hamburgerin. Dort sei sie fasziniert gewesen von den vielen Skizzen und filigranen Bauten des großen Architekten, der bis ins Kleinste vorgab, wie seine Entwürfe umzusetzen seien. Peter Hamel jedenfalls hatte nach dieser Ausstellung keine Chance, seiner Frau die Idee, einen Richard-Neutra-Nachbau zu errichten, auszureden. „Allerdings muss ich gestehen, dass wir zu diesem Zeitpunkt mit unseren beiden Töchtern in einem Haus wohnten, das ohnehin nicht mehr unseren Vorstellungen entsprach“, räumt der 57-Jährige ein. „Den grauen Industrieboden im Erdgeschoss haben wir vergeblich versucht, weiß zu streichen“, sagt der Hausherr. Weiß. Diese Farbe hat es dem Ehepaar ohnehin angetan. Gern in Kontrast gesetzt zu Schwarz.

Auch nicht mehr so richtig schön fand das Ehepaar die relativ dicke Ausprägung der Wände und des Daches bei ihrem Eigenheim im Bauhausstil. „Die Häuser von Neutra wirken dagegen so leicht und transparent. Und sie sind nicht so nüchtern gestaltet, wirken eher gemütlich und beschützend“, wie Peter Hamel anführt. Dabei verweist er auf den Dachüberstand über der Bangkirai-Terrasse und die beiden sorgfältig mit Naturstein verblendeten Wände zur Straße hin und am Kaminzug.

Doch so leicht und schwebend wie das Haus mit den zwei Dachterrassen wirkt – eine vor den beiden Kinderzimmern, die andere vor dem Elternschlafzimmer mit Bad-en-suite –, der Bau selbst entpuppte sich als zeitaufreibend und schwierig. „Familienintern haben wir schon von unserer eigenen kleinen ,Elbphilharmonie‘ gesprochen“, sagt Christine Kröger. Bis zum Einzug im September vergangenen Jahres seien nahezu zwei Jahre vergangen.

Ein wenig Schuld daran trügen sie aber selbst, sagt Peter Hamel. „Wir waren sehr dominante Bauherren, haben fast jedes Gewerk selbst ausgeschrieben und haben uns nicht gern vom Architekten reinreden lassen.“ Das alles sei sehr kräftezehrend und nervenaufreibend gewesen. „Im Nachhinein gesehen hat dies den Bau des Hauses sogar verzögert und eher verteuert“, räumt er ein. Auf etwa 4000 Euro pro Quadratmeter veranschlagt Hamel die Kosten für den Bau. Die Rede ist von einem Haus mit etwa 210 Quadratmetern Fläche und zusätzlichen 100 Quadratmetern Nutzfläche im Keller.

Christine Kröger und Peter Hamel sind stolz auf ihr Werk, auch wenn es nicht völlig ihrem Erfindungsgeist entspringt. „Das Leben in dem Haus ist so viel heller und angenehmer geworden als in anderen Domizilen“, sagen beide.

Noch allerdings fehlt etwas, um Richard Neutras Vorstellungen ganz zu entsprechen: Das Haus müsste sich eigentlich in Wasser spiegeln.