Tonmeister Hans-Ulrich Holst nimmt Konzerte nicht nur auf, er streamt sie auch live ins Internet

Das ist der größte anzunehmende Zwischenfall: Das Internet streikt. Wenige Minuten vor Konzertbeginn. Im Rücken des nichts ahnenden Publikums eilt Hans-Ulrich Holst zwischen zwei Nebenräumen hin und her, die Augen geweitet, um äußere Ruhe bemüht, prüft Kabel und dreht Knöpfe.

„Das ist mir noch nie passiert“, sagt er, „die Technik ist absolut zuverlässig.“ Muss sie auch sein. Holst ist Tonmeister. Für Hörer, die nicht in die Blankeneser Kirche am Markt kommen können, will er das Konzert live ins Internet streamen. Kantor Eberhard Hasenfratz spielt mit drei Berliner Solisten zusammen das „Quatuor pour la fin du temps“ von Olivier Messiaen für Klavier, Geige, Klarinette und Violoncello.

Bei der Anspielprobe eine Stunde zuvor ist Holst noch die Gelassenheit selbst. Als die Musiker eintreffen, hat er längst alles in Position gebracht. „Ich bin gerne rechtzeitig fertig, um Zeit für die Wünsche der Musiker zu haben“, sagt er und erklärt die Technik: das Hauptmikrofon mit den ausgebreiteten Armen, das den Gesamtklang aufzeichnet, die verschiedenen Einzelmikros für die verschiedenen Instrumente, die Stagebox, in der ein Wust von Kabeln zusammenläuft und die ihrerseits über ein dickes Kabel mit dem improvisierten Regieraum verbunden ist. Etwas entfernt steht ein weiteres Mikro – das aber gar kein Mikro ist. „Das ist eine Kamera, über die ich vom Regieraum aus sehe, was die Musiker machen. Die sieht wie ein Mikro aus, um nicht zu stören.“

Nicht stören, das ist ein Berufscredo des 51-Jährigen. Holst ist selbst ausgebildeter Musiker, er hat klassische Gitarre studiert und kennt die Bedürfnisse der Künstler. Ein Musikerflüsterer sozusagen. „Man hat nicht eine halbe Stunde Zeit, um das Vertrauen der Musiker zu gewinnen“, sagt er. „Man hat zwei Bemerkungen Zeit.“

Gern lässt er die Musiker selbst die Aufnahmen abhören: „Sie haben sehr präzise Vorstellungen von ihrem eigenen Klang“, ist seine Erfahrung. Die Cellistin setzt sich die Kopfhörer auf und bestätigt Holsts Eindruck: Die Streicher könnten noch präziser zu hören sein. Mit wenigen unauffälligen Handbewegungen verändert er die Höhe der Mikros oder verrückt sie geringfügig. Ein paar Zentimeter können einen riesigen Unterschied machen. Gerade bei Klassik gilt: Je weniger der Tonmeister über das Mischpult manipuliert, je präziser er die Mikros im Raum positioniert, desto besser. Die dynamische Bandbreite und die Vielfalt der Klangfarben wollen eingefangen werden. „Einen lebendigen, persönlichen Klang hinzubekommen, das ist wie ein Flirt“, sagt Holst. „Wenn man zu weit weg ist, gibt es keinen Kontakt, kommt man zu nah heran, verletzt man die Intimsphäre.“ Diese Feinheiten muss der Tonmeister in Technik umsetzen. Begriffe wie Ersatz-Schallquelle, Tiefenstaffelung, Laufzeitmessung machen ebenso wie die beeindruckende Menge an Reglern, Schiebern und Knöpfen deutlich, wie anspruchsvoll Holsts diskrete Arbeit ist.

Ihre Qualität spricht sich offenbar herum: Holst arbeitet nicht nur mit örtlichen Künstlern wie der Sopranistin Gabriele Rossmanith oder den Philharmonikern Hamburg, zu seinen Auftraggebern gehören auch das Israel Philharmonic Orchestra und der Countertenor Max Emanuel Cencic. Und mit den Livestreams hat er nahezu ein Alleinstellungsmerkmal. Die Berliner Philharmoniker haben zwar ihre Digital Concert Hall, sonst aber sei das Verfahren nicht sehr weit verbreitet, sagt Holst. Veranstalter und Künstler kündigen die Livestreams im Internet an. Zwischen 80 und 350 Hörer schalten sich jeweils ein.

Gerade rechtzeitig ist in der Kirche das Internet wieder da. Holst verfolgt das Konzert über die Kopfhörer; so hört er genau das, was auch das virtuelle Publikum zu hören bekommt. Alles ist gut. Und tags drauf stellt sich heraus: Das Internet war nicht von allein ausgestiegen, der Pastor war dran. Dagegen hilft auch die raffinierteste Technik nichts.

Einen lebendigen, persönlichen Klang hinzubekommen, das ist wie ein Flirt.