Es gab Proteste gegen die Saseler Kinder-Wohngruppe. Ein Jahr danach ist nichts davon geblieben

Es brummt im Haus, bald kommen die Gäste. Schnell noch eine Runde Staubsaugen. Im Garten werden die Holztische aufgebaut und bunte Girlanden über die Terrasse gespannt. Im Büro sitzt ein großer Mann und zerreißt blau-weiß gestreiftes Papier in kleine Zettel. Ein Junge schaut herein, ruft begeistert: „Bene!“ und wirft sich auf ihn. „Amir*, was geht?“, antwortet St.-Pauli-Torwart Benedikt Pliquett. „Fußball spielen“, ist die Antwort. Na klar, aber erst müssen die Lose für die Tombola fertig sein. Es ist 15Uhr. Im Heideknick 4 in Sasel wird an diesem Nachmittag gefeiert. Anlässe gibt’s genug: der Sommer, das Leben, das friedvolle Miteinander.

Vor gut einem Jahr nahm die Wohngruppe Sasel der Großstadt-Mission Hamburg-Altona nach reichlich Turbulenzen ihre Arbeit auf. Einige Anwohner hatten damals eine Initiative gegründet und mit zwei Petitionen beim Eingabenausschuss der Bürgerschaft die Wohngruppe in ihrer Nachbarschaft verhindern wollen. Die Sorgen der alteingesessenen Saseler waren groß: Sind das kriminelle Jugendliche? Werden sie Unruhe in den idyllischen Stadtteil tragen? Und wird diese Wohngruppe den Wert der angrenzenden Grundstücke mindern? Die Eingaben wurden zurückgewiesen, acht Kinder und ihre Betreuer konnten ein halbes Jahr später als geplant in das große, gelbe Haus einziehen. Drei Monate danach wurde Manuel Kappernagel, Projektbetreuer der Wohngruppe, auf der Straße angesprochen und gefragt, wann es denn endlich losgehe. „Wir sind doch längst da“, war die Antwort. Das war vor einem Jahr, bislang gab es nicht eine Beschwerde. „Wir wollen ganz herzlich Dankeschön sagen“, begrüßt Carsten Schüler von der Großstadt-Mission die rund 50Gäste. Nachbarn, Freunde, Mitarbeiter. Viele Menschen in Sasel seien dem Wohnprojekt von Anfang an auch wohlgesonnen begegnet, sagt Carsten Schüler. Zum Einzug bekamen sie neben zwei Tischtennisplatten vom örtlichen Sportverein und einem Nachbarn so viel Brot und Salz geschenkt, dass es für Wochen reichte. Dann aber wurde es nach dem Stress und Druck der Anfangszeit ruhig am Heideknick. „Das war auch gut so“, sagt Manuel Kappernagel, denn die Bewohner und Betreuer mussten erst mal zusammenfinden. Anfangs gab es viele Wechsel. Der 14-jährige Flüchtling Saman beispielsweise zog aus, nachdem ihn eine Cousine in Köln durch einen Bericht im Hamburger Abendblatt erkannt hatte und das Sorgerecht für ihn übernahm. Zurzeit leben fünf Mädchen und drei Jungen zwischen sieben und 19 Jahren in der ruhigen Wohnstraße. Keine kriminellen Problemkids, sondern Kinder aus schwierigen familiären Verhältnissen, deren Eltern es nicht schaffen, sich ausreichend um ihre Töchter und Söhne zu kümmern. Der Kontakt zu ihnen aber wird erhalten und gefördert, denn die Kinder sollen – wenn möglich – zu ihren Eltern zurückkehren. In einer Wohngruppe wie in Sasel bleiben sie im Durchschnitt zwei Jahre.

Der siebenjährige Amir aus Afghanistan spricht schon ganz gut deutsch, verstehen kann er fast alles. Ein wenig später an diesem Nachmittag wird er von Gast zu Gast laufen und aus einem Schuhkarton heraus Lose verkaufen. Fröhlich ist er und niemand sieht ihm an, dass seine Eltern ihn mit nur sechs Jahren und Hoffnung im Gepäck einem Schleuser in die Hand drückten und ihn allein in ein fremdes Land zu fremden Menschen schickten.

Einer von Amirs größten Fans schaut dem Jungen beim Verkaufen zu. Nachbarin Angelika Bauer wohnt gleich nebenan. „Einige Leute sind vor einem Jahr fürchterlich auf die Barrikaden gegangen“, sagt sie. Einmal habe es bei ihr geklingelt und Gegner des Wohnprojektes baten sie um ihre Unterstützung. Da hat sie die Tür geschlossen. Als ein paar Tage später die Bewohner und Betreuer mit der Einladung zum Einzugsfest kamen, blieb sie offen. „Hier leben jetzt ein paar total süße Kinder“, sagt Angelika Bauer „und von mir aus könnte es ruhig noch ein bisschen lauter zugehen.“

„Als die Kinder hier einzogen, trat sofort eine Beruhigung ein“, sagt Monika Pfaue. Die frühere Direktorin der Schule Redder hatte sich mit anderen Saselern in einer Gegeninitiative für das Projekt stark gemacht. Ein verlässliches Zuhause und neue Freunde. Benedikt Pliquett gehört dazu. Der St.-Pauli-Torwart wohnt nur 500 Meter entfernt und übernahm die Patenschaft für die Wohngruppe. Er setzt sich für benachteiligte Kinder ein, das hat im Stadtteil viele überrascht. Er zuckt nur mit den Schultern: „Wenn ich es schaffe, das Leben der Kinder ein Stück weit glücklicher und behüteter zu machen, dann ist es doch gut.“

„Wir merken, dass Kinder ankommen, wenn sie anfangen Bilder zu malen und ihre Zimmer zu gestalten“, sagt Carsten Schüler von der Großstadt-Mission. Im Flur hängt eine Leinwand. Gelb und rot, ein Wort ist darauf geschrieben: Zuversicht.

* Name geändert

Hier leben jetzt ein paar total süße Kinder. Und von mir aus könnte es ruhig noch ein bisschen lauter zugehen.