Essen ist zum Chemiekasten geworden. Besuch einer weltweit einzigartigen Ausstellung

Auf den ersten Blick erinnert der metallisch glänzende und mannshohe Kasten an eine Mischung aus Melkmaschine und Computer: Röhren, Knöpfe, Schalter finden sich vielfältig daran. Christian Niemeyer deutet darauf, hier lasse sich die Dosierung einstellen, erläutert er und fasst an einen der vielen Regler. Dimethyldicarbonat würde nun in Flaschen träufeln, in rasendem Tempo, wenn denn die Maschine in Funktion wäre. Ein Desinfektionsmittel, ein sogenannter Kalt-Entkeimer für Säfte, Schorlen oder auch Wein. Ein relativ neues Hilfsmittel der Industrie, weil sich die modernen Plastikflaschen nicht mehr mit kochendem Wasser ausspülen lassen, was früher in den teureren und vor allem schwereren Glasflaschen die gefährlichen Keime tötete. Zwar zersetzt sich Dimethyldicarbonat schnell, doch welche Produkte im Saft oder im Wein sich noch bilden, wie sie vielleicht mit dem menschlichen Körper reagieren – das sei weitgehend unbekannt, sagt Niemeyer, studierter Biologe und Leiter des Hamburger Zusatzstoffmuseums, wo der Kasten aufgebaut ist.

Etwas versteckt, mitten auf dem Gelände des Hamburger Großmarktes, liegt das Museumsgebäude, das einen Einblick in die manchmal verblüffende, oft genug auch erschreckende Welt der industriellen Lebensmittelproduktion bietet. „Viele fallen vom Glauben ab, wenn sie hier drin waren“, sagt Niemeyer, der regelmäßig Führungen anbietet. Getragen wird das Museum von einer Stiftung, wissenschaftliche Berater sind der Chemiker und Autor Georg Schwedt sowie der streitbare Lebensmittelchemiker und Autor Udo Pollmer. Hauptsponsor ist das Tiefkühl-Unternehmen Frosta, das vor einigen Jahren den völligen Verzicht auf Zusatzstoffe zum eigenen Marktprogramm erklärt hatte. Ziel sei, so sagt es Leiter Niemeyer, über die vielen Tausend Zusatzstoffe zu informieren, die heute die Lebensmittelindustrie ins Essen mixt, um es haltbar, knackig, weich, cremig oder einfach auch nur billig zu machen.

320 E-Stoffe sind registriert, etliche Aromen kann man künstlich herstellen und vieles anderes noch. Gut 3000 Grundstoffe gibt es im großen Bastelkasten der Lebensmittelhersteller, manche gut untersucht, andere gar nicht. Verdickungsmittel, um Zutaten geschmeidig zu machen, Geschmacksverstärker, Farbstoffe oder Mittel, die eine Großproduktion von Brötchen erst ermöglichen. Im Museum kann man dazu die typische Zutatenliste heutiger Brötchen und ihrer Fertigmischungen lesen: Stabilisatoren wie Diphosphat, Zucker, Emulgator, Ascorbinsäure, Trennmittel und einiges mehr. „Zusatzstoffe gehören nicht ins Essen. Sie gehören ins Museum“, schreibt Pollmer im Begleitheft des Museums.

Was so alles drin sei im E-Essen, das wüssten viele Verbraucher nicht, sagt Niemeyer. „Für ein neues Handy studiert man etliche Testberichte, für den Fleischsalat aber nicht.“ Der Trend zum Kantinen- und Fertigessen sei ein weiterer Grund, warum immer mehr experimentiert wird, um das Essen günstig zu machen und so erscheinen zu lassen, als sei es handgemacht. Von „Täuschung“ spricht Niemeyer dann und bittet einen Raum weiter: Regale mit unzähligen Dosen, Schachteln stehen dort, die alle möglichen Stoffe erklären. Kleine braune Flaschen sind in einem Schrank aufgereiht. „Schnüffeln Sie mal“, sagt er. Und tatsächlich: Das Auge sieht nur einen Wattebausch, die Nase erkennt etwas völlig anderes: Salami in der einen Dose, dann, Fisch, schnell zu, die nächste Dose: Erdbeere, als wäre ein ganzer Korb da drinnen. Dann Knoblauch! Cappuccino! Leber?, tatsächlich Leber? Manche Aromen werden direkt aus den Produkten gewonnen, andere aus natürlichem Ersatz. Himbeergeschmack beispielsweise lässt sich aus Holzspänen erzeugen, sagt Niemeyer. Bananenaroma könne man aus einem Mix aus Essigsäure, Schwefelsäure und Alkohol erlangen.

„Nehmen wir einmal Himbeer-Joghurt, mit angeblichen ganzen Fruchtstücken“, schlägt er vor. Jeder Supermarkt biete da eine Reihe von Produkten – doch nur fünf Prozent des weltweiten Bedarfs an Himbeeren werden über echte Früchte erzeugt. Künstliche Aromen sind viel billiger, rechnet Niemeyer vor: Für 100 Kilogramm Himbeer-Joghurt kann man für wenige Cent künstlichen Ersatz nehmen für den Geschmack: „naturidentisch“, nannte sich das bis vor Kurzem. „Natürliches Aroma“ aus Holzspänen kostet pro 100Kilogramm 3,75Euro, echtes Himbeeraroma aus Fruchtresten aber 12,50Euro – und würde man wirklich mit frischen Himbeeren arbeiten, käme man auf Kosten von 31,50Euro. Und was ist mit den Früchten, die sieht man doch? Doch auch damit wird getrickst, weiß Niemeyer. Die angeblichen Fruchtstücke sind wirklich Fruchtstücke. Allerdings keine Himbeeren, sondern Reste völlig ausgepresster Cranberries ohne jeden Geschmack.

Das Deutsche Zusatzstoff-Museum hat mittwochs und freitags von 11 bis 17 Uhr, donnerstags von 14 bis 20 Uhr und am Wochenende von 11 bis 17 Uhr geöffnet. www.zusatzstoffmuseum.de