Arbeiten ohne Zeitkontrolle hat für Mitarbeiter oft Nachteile

Arbeiten, wann man will: Für manchen Angestellten klingt das wie ein Traum. Bequem zwischendurch den einen oder anderen privaten Termin erledigen, ohne dafür Urlaub nehmen zu müssen. Arbeiten, wann es zum Familienleben und dem eigenen Biorhythmus passt. Vertrauensarbeitszeit heißt das Modell. Dabei arbeiten Angestellte ganz ohne Arbeitszeitkontrolle. Meist vereinbaren Arbeitgeber und Arbeitnehmer Projektziele und eine Wochenarbeitszeit. Wann der Angestellte seinen Job erledigt, entscheidet er. Zum Teil geben Arbeitgeber auch nur Projektziele vor.

Was zunächst gut klingt, kann für die Beschäftigten zum Problem werden. Viele freuen sich über die ungewohnte Freiheit so sehr, dass sie stillschweigend mehr Stunden arbeiten, als vertraglich vereinbart ist, sagt Nathalie Oberthür, Fachanwältin für Arbeitsrecht. Vor Selbstausbeutung warnt auch Annelie Buntenbach vom Deutschen Gewerkschaftsbund. Die Erfahrungen zeigten, dass die Anforderungen der Unternehmen oft hoch seien, aber die nötigen Ressourcen nicht zur Verfügung gestellt würden. „Das bedeutet enormen Druck für die Beschäftigten“, sagt Buntenbach. Die Folge seien unbezahlte Überstunden, Wochenendarbeit und psychische Belastung durch zusätzlichen Stress. Viele Mitarbeiter können auch zwischen Freizeit und Arbeitszeit nur schwer trennen. Zwar biete es Chancen für eine selbstbestimmte Lebensgestaltung, wenn Job und Privates sich vermischen, sagt Psychologin Julitta Rössler. „Aber das sollte man nicht übertreiben, denn das kommt der Gesundheit auf die Dauer nicht zugute.“ Nur weil man die Möglichkeit habe, von überall zu arbeiten, müsse man das nicht tun.

Michael Herz vom Bundesverband Selbstständiger Personalberater hält die Vertrauensarbeitszeit trotzdem für das richtige Modell. Die Flexibilität erleichtere es den Mitarbeitern, ihr Familienleben mit dem Job zu vereinbaren. Gerade bei Jobs in Forschung und Entwicklung sei es außerdem kaum sinnvoll, mit Stechuhren zu arbeiten. „Man kann ja einen Ingenieur nicht dazu verdonnern, dass er um zehn Uhr morgens etwas erfindet“, sagt Herz. Daher sei es wichtig, gute Arbeitsbedingungen für kreative Köpfe zu schaffen – und dazu gehörten auch flexible Zeiten.

Martina Plag, Partnerin bei der Unternehmensberatung Hachenberg und Richter, sieht das kritischer und warnt Mitarbeiter vor Blauäugigkeit in Sachen Vertrauensarbeitszeit. „Unternehmen versuchen, damit Probleme zu lösen, die durch die Ausweitung der Arbeitszeit entstehen“, sagt sie. Internationale Zusammenarbeit und längere Servicezeiten zum Beispiel seien Gründe dafür. „Nur in wenigen Jobs geht es noch, ausschließlich von neun bis 17 Uhr ansprechbar zu sein.“

Wo Überstunden, Nacht- oder Wochenendarbeit zu Buche schlagen könnten, finden Arbeitgeber Vertrauensarbeitszeit besonders interessant. „Sie wird als Joker gezogen“, sagt Plag. „Dann braucht man sich nicht damit auseinanderzusetzen, wie Mehrarbeit vergütet wird, und kann geflissentlich ignorieren, dass die eigenen Mitarbeiter die gesetzlich geregelte Höchstarbeitszeit überschreiten.“

Anwältin Nathalie Oberthür rät jedem Arbeitnehmer in Vertrauensarbeitszeit, mit dem Arbeitgeber möglichst viel schriftlich zu fixieren. Wie viele Stunden sollen gearbeitet werden? Welche Projekte müssen erledigt werden? Muss der Arbeitnehmer zu bestimmten Tagen oder Ereignissen trotzdem im Büro sein? Je mehr Details geregelt sind, desto seltener komme es zu Streitereien.

Aber auch wenn Arbeitnehmer keine Stundenzahl angeben müssen, sollten sie die Arbeitszeit selbst erfassen, um den Überblick zu behalten und unbezahlten Überstunden vorzubeugen. Anwältin Oberthür sagt: „Und wenn ich merke, dass mir die 40 Stunden in der Woche dauerhaft nicht reichen, dann muss ich das Gespräch mit dem Arbeitgeber suchen.“ Denn die Vertrauensarbeitszeit setzt nicht die Regelungen des Arbeitszeitgesetzes außer Kraft. Pausen und Höchstarbeitszeiten dürfen auch bei diesem Modell nicht überschritten sein.