Wie ein Hamburger Sport satt konsumiert – und damit als Profizocker sein Geld verdient

Wirklich verstehen kann Stefan Mosch nicht, warum er im Café Knips in Klein Flottbek sitzt, ein Alsterwasser trinkt und seine Geschichte erzählen soll. Mosch ist 35 Jahre alt, wohnt in den Elbvororten, hat Abitur, ein abgeschlossenes Studium und einen Beruf, der ihm Spaß macht. „Das ist doch keine Geschichte, die die Leser interessiert“, sagt Mosch. Dabei weiß er nur zu gut, dass die Geschichte, die hier erzählt werden soll, immerhin so gut ist, dass er seinen wahren Namen nicht verraten will. Mosch heißt nicht Mosch und auch nicht Stefan. Er ist tatsächlich 35 Jahre alt, hat ein abgeschlossenes Studium und einen Beruf, der ihm Spaß macht. Mosch ist ein Punter, das ist englisch und heißt so viel wie Sportwetter, Zocker, Glücksspieler. Das ist die Geschichte, seine Geschichte.

So richtig beginnt sie 2006, in dem Jahr, als Deutschland ein Sommermärchen schrieb, jeder über Fußball sprach und Nachbarn oder Bürogemeinschaften ein paar Euro bei Oddset auf das nächste Spiel setzten. Auch Mosch, der damals studierte, hatte häufiger beim staatlichen Wettanbieter kleine Summen gesetzt: „Ich habe die klassische Karriere als Sportwetter hinter mir. Erst bei Oddset ein bisschen was auf Fußball setzen, dann irgendwann mehr im Internet auf andere Sportarten.“

Während Oddset seinerzeit zwischen zehn und 15 Wetten pro Tag im Angebot hatte, lockten die großen Internetportale schon damals mit mehreren Tausend Wetten. Die großen Anbieter wie Tipico (Postanschrift: Malta), Bwin (Gibraltar) oder Betvictor (Gibraltar) boten und bieten alles, was das Wettherz begehrt: Australian-Rules-Football, Netball-Meisterschaften der pazifischen Inseln oder eben Tennis in Wimbledon. So kommen die staatlich regulierten Fußballwetten Toto und Oddset auf einen Umsatz von gerade mal 230 Millionen Euro, der Markt der privaten Sportwetten wird von Experten dagegen auf über drei Milliarden Euro geschätzt. Weit mehr als die Hälfte des Geldes wird online eingesetzt, was in Deutschland eigentlich verboten ist. „Es ist eine Grauzone“, sagt Mosch.

Hauptberuflich ist Mosch seit sieben Jahren online auf der Suche nach seinem Glück. Er sei ein klassischer Punter, der setzt und die Wette laufen lässt. Dann gebe es noch die sogenannten Surebetter, die Quotenunterschiede zwischen den Buchmachern ausnutzen, sodass sie einen sicheren Erfolg haben, egal, wie die Wette ausgeht. Die dritte Gruppe von Profizockern nennt sich Trader, die hauptsächlich bei Livewetten Quotenhandel betreiben.

Über genaue Summen mag Mosch nicht reden, aber leben könne er von der Zockerei sehr gut. Natürlich sei auch er schon mal ein, zwei oder sogar drei Monate in Folge im Minus gewesen, insgesamt habe er aber jedes Jahr mit einem so deutlichen Plus abgeschnitten, dass er über ein „gutes monatliches Einkommen“ verfüge.

Der Hamburger erkundigte sich in Wettforen im Internet, richtete sich über die Jahre mehr als 60 verschiedene Konten bei Buchmachern ein und legte sich eine grundlegende Strategie zu. Er wettet mit einem Betrag X, den er für Sportwetten zur Verfügung hat. Davon setzt er immer nur maximal drei Prozent auf eine einzelne Wette, um das Risiko der eigenen Gier zu minimieren.

Mosch selbst weiß nicht so genau, ob er seine Zockerei als Sucht bezeichnen würde: „Es ist möglicherweise eine Sucht, aber im Gegensatz zu anderen Süchten gibt es in meinem Fall keine negative Randerscheinungen. Zumindest empfinde ich das Wetten nicht als Sucht, auch wenn mir bewusst ist, dass der Grat sehr schmal ist.“

Wie schmal der Grat beim Wetten generell ist, hat er schon häufiger erlebt. Mal ist es die zu lange Nachspielzeit, mal ein fehlender Zentimeter oder auch eine plötzliche Verletzung mitten im Tiebreak, die aus einem kleinen Vermögen ein unkalkuliertes Risiko machen können. Sein ärgerlichstes Erlebnis: Bei einem Champions-League-Rückspiel zwischen Bayern und Brügge hatte er 2005 gewettet, dass insgesamt mindestens drei Tore fallen würden. Nach 90Minuten stand es 1:1, Brügge spielte aber voll auf Sieg. In der 91. Minute hatten die Belgier dann eine Ecke, bei der auch Torhüter Tomislav Butina mit nach vorne geeilt war. Münchens Paolo Guerrero fing den Ball am Strafraum ab, konterte und lief auf das leere Tor zu. Doch Sekunden bevor Guerrero den Ball ins leere Tor schob, pfiff Schiedsrichter Laurent Duhamel mitten im Konter ab. Es blieb beim 1:1. Mosch hat seinen Einsatz verloren.

Vorerst wird Mosch weiter hauptberuflich wetten. „Das ist auch schon die ganze Geschichte“, sagt er, „ich stehe noch immer jeden Morgen auf und freue mich auf meinen Job.“