Genuss Speicher vereint Bistro und Museum. Eine Reise in die kulinarische Vergangenheit Hamburgs

Wenn französische Reisende zu Zeiten der Hanse in den Norden kamen, erlebten sie häufig eine Überraschung. Die Weine aus ihrer Heimat schmeckten in Lübeck und Hamburg ganz anders, und, sehr verwirrend für französische Gourmets, plötzlich besser als daheim. Das Geheimnis dieses kleinen Wunders: Während der Überfahrt mit den Handelskoggen kam der Wein auf den Wellen in Bewegung, anschließend lagerte er in Hamburger oder Lübecker Kellern in kleineren Fässern als in der Heimat. Auf diese Weise entwickelte sich ein intensiveres Fassaroma, und der Geschmack wurde runder. Der Rotspon war geboren, ein Wein französischer Herkunft, der im Norden schließlich sein besonderes i-Tüpfelchen bekommen hatte.

Rund um diese Weinlegende hat jetzt Frank Stricker, ehemaliger Chef des Restaurants Zippelhaus und des Mühlenkamper Fährhauses, ein neues Gastronomie-Projekt in der Speicherstadt ins Leben gerufen. In seinem Genuss Speicher am St. Annenufer vereint der 54-Jährige einen Weinkeller für den Rotspon, eine Weinbar, eine Event-Location für mehr als 200 Gäste sowie ein Museum rund um die Hanse, die Speicherstadt und die typischen Produkte der Hamburger Pfeffersäcke. „Wir erzählen die Geschichte der Hanse und Hamburgs anhand des Rotspons“, fasst Stricker seine Idee zusammen. Immerhin 700 Quadratmeter hat der gebürtige Sylter für seine Erlebniswelt mit viel Liebe zum Detail restauriert. Er investierte dafür eine Million Euro – auch mit Blick auf die Bewerbung der Speicherstadt als Weltkulturerbe.

Mit Eichenholzbalken, roten Backsteinwänden, Accessoires wie alten Kaffeedosen und Schwarz-Weiß-Fotografien aus den alten Hamburger Zeiten ist eine Mischung von Bar, Bistro und Museum entstanden, die viele sinnliche Eindrücke bietet: Die Gäste können auf einer Fläche etwa so groß wie ein Tennisplatz an exotischen Gewürzen oder Tees schnuppern, Weine probieren, historische Filme über den Hafen schauen oder mittags einfach mal schnell zum Lunch vorbeikommen. Seit einigen Wochen hat der Genuss Speicher geöffnet, und es haben sich bereits Firmen wie die Reederei Hamburg Süd, das Handelshaus Gebr. Heinemann oder der Juwelier Wempe für Veranstaltungen angemeldet. Stricker rechnet mit 300 Gästen am Tag. „Vor allem das besondere Flair der Räumlichkeiten wird die Leute anziehen“, sagt der Familienvater mit Blick auf die Hamburger, ihre Besucher sowie Kreuzfahrttouristen, die bei ihrem Stopp am Hafen in die Geschichte der Hansestadt eintauchen wollen.

Im Untergeschoss, dem einzigen Backsteintonnengewölbe der Speicherstadt, reift unterdessen der Wein. Nach dem Rundgang in der Gastronomie und einem kurzen Abtauchen in einen Flur, in dem bald die Ansprache von Kaiser Wilhelm II. zur Einweihung der Hamburger Speicherstadt vom Originaltondokument zu hören sein wird, eröffnet sich der Keller.

Während Stricker sich in der Weinbar mit Leidenschaft über sein Projekt äußert, gerät seine Schilderung der Pläne für den Rotspon fast euphorisch. Mit einer weiten Armbewegung weist er auf die Fässer, die im Jahr bis zu 50.000 Flaschen heranreifen lassen können. Das Eichenholz fasse jeweils 220 Liter und verleihe dem Wein Vanille- und Röstaromen. Temperatur und Luftfeuchtigkeit seien in der Speicherstadt, die auf eine lange Tradition als Weinlager zurückblickt, hervorragend.

Ausgewählt habe Stricker, übrigens selber gelernter Sommelier, Rebsäfte aus 14 verschiedenen französischen Weingütern. Gemeinsam mit Kellermeister Ingo Grimm vom Weinhaus Wehber wurden in einem Probiermarathon über jeweils 14 Stunden an zwei Tagen schließlich drei verschiedene Cuvées zusammengestellt. Beim Verkauf im Shop oder via Internet sollen die Tropfen zwischen 6,90 Euro und 12,90 Euro kosten. Stricker plant zudem, den Rotspon über weitere Vertriebsstellen zu verkaufen. Zu den Wunschpartnern gehört Speicher & Consorten, ein Unternehmen, das sich ebenfalls der Geschichte und Identität der Stadt verbunden fühlt und mit dem Verkauf kulinarischer Hamburgensien erfolgreich ist. Allein Anfang dieses Jahres hat die Firma schon 19.000 Produkte verkauft, die an die Tradition der wichtigsten Hamburger Handelsgüter anknüpfen.

Zu den beliebtesten Produkten gehört der Hamburger Seesack mit Salz, Kaffee und Schokolade, alles verpackt in einem rustikalen Leinenbeutel, der an alte Kaffeesäcke erinnert. Über die Shops der Gebr. Heinemann erobern die Seesäcke inzwischen sogar die Herzen der Kunden an Flughäfen außerhalb der Hansestadt, der Umsatz des Hamburg-Sortiments ist in den vergangenen Monaten um mehr als die Hälfte gestiegen. „Dass in Frankfurt und Hannover unsere Hamburger Produkte derart beliebt sind, hat uns fast ein wenig gewundert“, sagt der Inhaber von Speicher & Consorten, Axel Heinrichson. Der Erfolg hanseatischer Waren außerhalb der Heimat kann also auch heute durchaus noch eine Überraschung mit sich bringen – so wie schon vor etlichen Jahrhunderten beim Rotspon.

Wir erzählen die Geschichte der Hanse und Hamburgs anhand des Rotspons.