Angebote für Kinder mit Behinderung sind knapp. Zum Leidwesen vieler berufstätiger Eltern

Lenni spielt gern mit Bällen – und mit Wasser. Hat er eine Kiste mit Bällen, kann er sich damit sehr gut allein beschäftigen. Er rollt sich auf dem Boden hin und her und kann auf einem dreirädrigen Fahrrad fahren. Was er nicht mag, sind Tiere. Was er nicht kann? Allein essen und trinken. Er kann nicht reden und nicht laufen. Weil er vor 16 Jahren zu früh auf die Welt gekommen ist und Hirnblutungen hatte, ist er schwer behindert. Und trotzdem geht er zur Schule und – wie nicht behinderte Kinder von berufstätigen Eltern – besucht er am Nachmittag einen Hort. Doch die Angebote für Kinder mit Behinderung sind knapp.

Einer dieser Horte liegt am Hirtenweg in Othmarschen, der gerade fünfjähriges Bestehen gefeiert hat. Bis zu 15Kinder werden dort nachmittags und in den Ferien betreut. Kinder wie Max, der bei seiner Geburt vor elf Jahren nicht ausreichend mit Sauerstoff versorgt wurde und im Rollstuhl sitzt. Oder eben wie Lennart, genannt Lenni, der eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung braucht. „Meine Frau und ich können nur als Ärzte arbeiten, weil Lenni nach der Schule im Hort betreut wird“, sagt sein Vater Matthias Stiehm.

Es gibt in Hamburg 13 Sonderschulen. Diese gewährleisten nach Angaben der Schulbehörde als gebundene Ganztagsschulen bereits jetzt eine Betreuung in der Kernzeit. „In einzelnen Fällen kann es dazu kommen, dass Betreuungswünsche nicht im vollen Umfang realisiert werden können“, so Behördensprecher Peter Albrecht. Alle Schulen seien jedoch bemüht, Lösungen zu schaffen. Genau wie an den allgemeinbildenden Schulen befänden sich auch die Sonderschulen in einer Ausbauphase. Angebote der Anschluss- und Ferienbetreuung gibt es noch nicht an allen Standorten.

Ohne Hort ginge bei ihr gar nichts, sagt Evelyn Schuller, die Mutter von Max. Max kann, genau wie Lenni, nicht allein essen, nicht allein trinken. Er kommuniziert nur mit „Ja“ und „Nein“ und per Sprachcomputer. Frau Schuller ist alleinerziehend. Während ihr jüngerer Sohn Milan, 7, nach der Schule natürlich in den Hort gehen darf, ist das bei Max keine Selbstverständlichkeit. Das muss beantragt und genehmigt werden. „Ich war lange wütend. Normale Kinder haben einen normalen Schulablauf und gehen in den Hort. Und Max, der ohnehin isoliert ist, darf das nicht ohne bürokratischen Aufwand?“ Es gehe gar nicht ausschließlich darum, dass sie arbeiten müsse, es gehe auch um Max. „Er möchte auch mit Gleichaltrigen zusammen sein. Davon profitiert er sehr.“

Seit einem halben Jahr geht der Fünftklässler, der die Schule für Körperbehinderte auf demselben Gelände besucht, in den Hort. Die Warteliste im Hort am Hirtenweg ist so lang, dass Susan Kreysler vom Träger, der BHH Sozialkontor, nach den Sommerferien unbedingt eine zweite Gruppe öffnen möchte. Der Hort kooperiert neben der Schule Hirtenweg außerdem mit der Schule Kielkamp – Förderschwerpunkt geistige Entwicklung.

Auch an der Raphael-Schule in Nienstedten und an einer Zweigstelle Sprachheilschule Reinbeker Redder gibt es eine solche Betreuung des BHH Sozialkontors. Und jedes Jahr müssen die Träger solcher Horte erneut das nötige Geld und Bewilligungen bei der Sozialbehörde beantragen. Das klappe ja auch meistens, sagt Susan Kreysler. Aber eben auch nur meistens.

Im vergangenen Jahr habe der Schrecken bei vielen Eltern tief gesessen. In einem Schreiben der zuständigen Sozialbehörde hieß es damals, es gebe nach den Sommerferien keine Betreuung mehr für Kinder, die älter seien als 14Jahre. „Solche Gesetzestexte sind für gesunde Kinder gemacht“, sagt Susan Kreysler. Dass behinderte 16-Jährige eigene Wege gingen, komme vor, sei aber eher selten.

Zwei Monate hat das Warten gedauert, bis es von der zuständigen Behörde grünes Licht und schließlich eine Ausnahmegenehmigung gab.

Normale Kinder haben einen normalen Schulablauf. Und Max darf nicht ohne Bürokratie in den Hort?