Hamburger Chöre, die begeistern: Die Ottoneans vom Versandhaus Otto sind einer von ihnen

Tagsüber leitet Hans Georg Spliethoff den Bereich Kreditmanagement bei der Otto Group. Sein Kollege Olaf Buckreus ist Kontakter in der Katalogwerbung. Maje Rasch arbeitet als Projektmanagerin. Und Susanne Scheer unterstützt als Assistentin die Einkaufssteuerung bei dem Moderiesen an der Wandsbeker Straße. Doch immer donnerstags von 18 Uhr an werden sie zu Tenor, Bass, Sopran und Alt. Im Firmenchor Ottoneans bringen sie ihre Stimmen ganz anders zu Gehör als im Berufsleben. Euphorischer, befreiter auch. Dann hüpfen Sänger quer durch die Hierarchien nebeneinander, um sich aufzuwärmen. Und zum Einsingen intoniert der Vorstand neben der Praktikantin ein „Waddi waddi waddi“. Feierabendstimmung. Und das, obwohl der Übungsraum sehr viel Business-Charme versprüht.

Kleine Sitzungsgetränkeflaschen stehen auf grauen Tischen, die sich in U-Form durch den Konferenzraum ziehen. Wer beim Singen aus dem Fenster blickt, schaut auf die wuchtigen Bauten der Bramfelder Otto-Stadt. Chorleiter Michael Zlanabitnig holt das Keyboard aus einem der Wandschränke, während sein Kompagnon Peter Schuldt von den Anfängen der Ottoneans erzählt: „Als ich den Raum das erste Mal sah, dachte ich: Holla, die Waldfee, hier soll ich Seele und Geist reinbringen?“ Doch der Hamburger Musikpädagoge ist einer, der noch jeden Ort mit der Energie der Musik erfüllt hat. „Bilder entstehen beim Singen“, sagt Schuldt und grinst, obwohl Ende 50, doch sehr spitzbübisch. Mit seinem erdigen Charme bringt er jede Menge Rock’n’Roll in die Welt des Versandhandels.

Den Anstoß gab Anfang 2010 die Premiere von The Young ClassX, einer Initiative des Ensembles Salut Salon und der Otto-Gruppe. Gemeinsam mit Jürgen Bock, Leiter der Kulturentwicklung im Unternehmen, entwickelte Schuldt da eine Idee, überzeugt davon, dass es nicht reicht, ein tolles Jugendmusikprojekt aus der Taufe zu heben: „Eigentlich muss die ganze Firma singen.“ Und so begleitet er nun 55 aktive und auch ehemalige Mitarbeiter mit seiner Wandergitarre, wenn sie etwa inbrünstig „Super Trouper“ von ABBA singen: „Suddenly I Feel Alright“. Sich plötzlich in Ordnung fühlen. Ein Satz, der den Effekt dieses After-Work-Chors gut zusammenfasst. Bei schmissigen Nummern wie Queens „Bohemian Rapsody“, aber auch bei Gänsehautstücken wie Leonard Cohens „Hallelujah“ werden Abteilungsebenen aufgehoben, wird Stress abgebaut.

„Nach fünf Minuten sind all die Probleme des Alltags verschütt“, sagt Ulrich Melcher, der stellvertretend dem Betriebsrat der Tochtergesellschaft Hermes Fulfilment vorsitzt und seit 25 Jahren bei Otto ist. Früher sang er in einem Pop-Chor in Altona. Doch als die Ottoneans im März 2010 gegründet wurden, zog es Melcher vor, lieber 200 Meter von seinem Schreibtisch entfernt zum Singen zu gehen. Nach der Probe, so erzählt der 56-Jährige, sei er schon häufiger trällernd über die leeren Flure der Firma gelaufen. Doch auch wenn der Chor die Angestellten gewiss auf besondere Weise mit dem Arbeitgeber verbindet, so betonen die Ottoneans, dass sie autonom organisiert und selbst finanziert sind. „Der Chor wurde nicht gegründet, damit wir ein möglichst tolles Firmennetzwerk aufbauen“, sagt Olaf Buckreus. „Aber das ist ein netter Nebeneffekt, dass ich ‚meine Leute‘ anrufen kann, wenn ich zum Beispiel PC-Probleme habe“, erklärt der 47-Jährige.

Rund 30 Songs gehören mittlerweile zum Repertoire. Und die Stücke von Gospel über Rock bis Pop präsentierten die Ottoneans beim 70. Geburtstag von Aufsichtsratsvorsitzendem Michael Otto ebenso wie beim Weihnachtsmarkt der Firma. Das Ensemble gibt auch externe Konzerte, etwa bei der Nacht der Kirchen. Und am 8. Dezember dieses Jahres laden sie zum Jahreskonzert in die Barmbeker Auferstehungskirche. „Wie die sich bewegen, wie die abgehen, das ist ein ganz besonderer Spirit“, sagt Michael Zlanabitnig. Der 32-Jährige arbeitet viel mit Kindern und ist angetan von der Lebendigkeit seiner erwachsenen Ottoneans. Bei der ABBA-Nummer tänzeln die Sängerinnen und Sänger sehr engagiert auf dem roten Konferenzraumteppich und heben die Hände zur Synchronchoreografie. Unternehmenskommunikation einmal anders.

Nach fünf Minuten sind all die Probleme des Alltags verschütt.