Andreas Greve reimt gerne in der Volksliedstrophe und beschäftigt sich in seinem Büchlein „Dichter am Abgrund“ in heiterer Form mit dem Diesseits

Sein Poetenrad besitzt ein großes Behältnis, in das Andreas Greve seinen neuen Gedichtband in vielfacher Ausführung platzieren wird. Und dann wird er ihn durch Hamburg spazieren fahren, am Ende auch, um ihn loszuwerden: 1000 Exemplare beträgt die Startauflage des Büchleins „Dichter am Abgrund“, und Greve hat seinem Verkaufsrad, mit dem er Parks und Plätze, Buchhandlungen und Einkaufszonen ansteuern will, auch einen Namen gegeben – „Librette“.

Das ist hübsch gewählt, hübsch sind auch die kleinen Alltagsminiaturen, die der Altonaer Dichter in seiner Reimklause Nähe Elbchaussee fertigt: hübsch, hintersinnig, wahr und selbstironisch. Oft auch bittersüß. Komik ist Tragik in Spiegelschrift, sang Max Herre mal und zitierte damit die Dada-Bewegung. Andreas Greve, schon aus Altona gebürtig und wieder dort lebend, rechnet seine eigenen Unzulänglichkeiten gegen die des Lebens allgemein auf. Am Ende hat immer er mehr auf der Habenseite: „Ein Mann, der lange nach sich suchte,/verstieg sich dabei ganz erheblich,/was er jedoch geschickt verbuchte:/„Ein Weg ist niemals ganz vergeblich.“/Als er sich nicht am Rande fand/und nirgends unter seinem Schuh/und oben auch nicht überstand,/wies er nicht gänzlich von der Hand:/„… dass ich in meiner Mitte ruh…“/Erleichtert fügte er hinzu:/„Soweit zum Ich. Jetzt auf zum Du!“ So heißt es in dem Gedicht „Ich in sich“, das sehr anschaulich den heiteren Ton des Reimers Greve wiedergibt, der an Busch, Ringelnatz, Gernhardt und Rühmkorf erinnert, der gerne in der vierzeiligen Volksliedstrophe dichtet und für große Wahrheiten oft nur wenig Platz braucht. Greve hat lange als Reisejournalist gearbeitet. In seiner Zweizimmerwohnung stehen noch Exemplare eines Reisebuchs, das er einst bei Hoffmann und Campe gemacht hat; außerdem Kinderbücher, die Greve, Jahrgang 1953, immer wieder geschrieben hat. Greve ist gelernter Zimmermann, studierter Kunstpädagoge und Satiriker, der in Medien seine Umwelt aufs Korn nahm, er sagt: „Erst jetzt mache ich wirklich brotlose Kunst.“

Es geht, sagt Greve, „in der Alltags- und Gebrauchslyrik eben nicht um solche Dinge wie Tod, Ewigkeit und Jenseits, sondern um das Diesseits“. Das wiederum erkunde er in seinem Arbeitsraum als „Sitzflaneur“ – sagt der, der früher beruflich nur unterwegs war. Wenn man seine Gedichte liest, nimmt man schon wahr, dass es auch seine eigenen vier Wände sind, die ihn zu leichtfüßigen Betrachtungen inspirieren. Etwa wenn er über die „Chaostheorie“ räsoniert: „Fehlt die Ordnung auf dem Tische/türmt sich Stapel neben Haufen,/soll man nicht den Schreibtisch strafen/– oder gar den nächsten kaufen./Wahre Schönheit kommt von innen,/auch die Schönheit der Gedanken,/und ihr Sinnbild ist ein Schreibtisch,/um den sich Papiere ranken.“

Aber Greve, der in Anlehnung an den an der Elbe lebenden Schriftsteller Richard Dehmel (1863–1920) in den Poemen immer wieder mit seinem Alter Ego „Dichter Demel“ (ohne h!) auftritt und sich ohnehin viel und mal verschmitzt, dann und wann auch trotzig über seine Profession ausbreitet, weiß auch von der „Dichtersportart Müßiggang“. Sie eignet sich nicht für ausschließliche Stubenhockerei: „Dichter Demel geht gern müßig:/Straßen, Parks und auch die Elbe/frequentiert er laufend müßig –/für den Kopf. Denn nur dasselbe/meldet, was es unterscheidet –/oftmals feinste Unterschiede!/Wenn er solche also meidet,/fehlt ihm mancher Vers zum Liede:/Schon ein leichter Nieselregen/reicht ihm dichterisch die Sonne./Schon ein Wind an Fahrradwegen/wird zu weltumwehter Wonne.“ So viel aus dem Werkstattbericht eines Dichters.

Greve führt, wie er selbst sagt, ein Künstlerleben. Mit der eigenen Nabelschau lässt er es nicht bewenden. Greve beobachtet das Gesummse der Gesellschaft, das seltsame Blüten treibt, um ein letztes seiner Gedichte zu zitieren: „Reichtum ist nichts für die Armen,/denn er reicht knapp für die Reichen./Doch die kennen kein Erbarmen,/lassen sich zur Not erweichen;/kleine Spende, kurz umarmen,/Foto: Ungleich unter Gleichen.“

Eigentlich, erzählt Greve, wollte er die Bildhauerei in Lyon lernen. Dann aber verschlug es ihn für viele Jahre nach Dänemark. Er lebte in einem Kollektiv, wollte als Handwerker arbeiten – und entdeckte, wie er pointensicher mitteilt, „endgültig meine Arbeitsscheu, als ich im Winter Gerüste aufbauen musste“. Dann lacht er. In seinem Arbeitszimmer steht ein älterer Kontorschrank, ein Kastensystem, „einer meiner Anläufe, systematisch zu sein“, sagt Greve. Er sammelt halt so viel, auf den Ablagen liegen Bücher, dann stehen da auch noch selbst produzierte Kunstwerke herum wie die Skulptur eines Männerkopfes. An den Wänden hängen von Greve gemalte Bilder, sehr abstrakt sind sie, „Modernes brauch’ ich nicht zu kaufen.“ Aber die wirkliche Berufung Greves ist das geschriebene Wort, genauer: das Gedicht. Entdeckt hat er das erst vor wenigen Jahren.

Er hat zunächst ein diffuses Gefühl des Argwohns verspürt, als ihm die Verse nur so rausrutschten. Ein Misstrauen gegenüber dem, was einem leichtfällt. Aber bei allem Talent für den possierlichen Vers – aus dem Ärmel schüttelt er den nicht. Er meißelt lange an den Gedichten herum. Wichtigste Übung: das Wegstreichen, um zu verdichten. Auf der Bühne, beim Rezitieren, ist er ein Meister. Man liest ihn regelmäßig auf www.fixpoetry.com, und demnächst kann man ihn, den Dichter Greve, auch auf seinem Rad treffen. Da gibt es dann Lyrik to go.

Erst jetzt mache ich wirklich brotlose Kunst