Zuschauer können Anteile kaufen, um den Umbau eines weiteren Saals zu finanzieren

Karl-Heinz Wellerdiek hat wenig Zeit. In zwei Stunden muss er zum NDR. „Wir zeichnen das nächste Hafenkonzert auf“, sagt er. Dort wird er Lieder wie „Junge komm bald wieder“ singen und über sein Theater, den Hamburger Engelsaal, sprechen. Tatsächlich hat er viel Neues zu berichten. Denn Wellerdiek hat seine Spielstätte am Valentinskamp in eine Genossenschaft umfirmiert. Aus einem Kulturbetrieb wurde somit ein Wirtschaftsunternehmen. Einen solchen Schritt hat vermutlich noch kein Theaterunternehmen in Deutschland gewagt. Bisher war Wellerdiek als Chef des Hauses derjenige, der den Takt vorgab. Künftig jedoch wird er zahlreiche „Genossen“ neben sich haben, die mitreden dürfen, etwa bei der Programmgestaltung, weil sie sich in die Firma eingekauft haben.

„Der Engelsaal ist bislang das erste Theater, das wir betreut und beraten haben“, sagt auch Sven Mittelbach, Vorstand des Prüfungsverbandes der Deutschen Verkehrs-, Dienstleistungs- und Konsumgenossenschaften. Rund 200 Genossenschaften sind aktuell Mitglied in dem Verband. Geprüft werden bei Anwärtern wie dem Engelsaal unter anderem die Bonität und die Zukunftsfähigkeit der neuen Genossenschaft. Wellerdieks Konzept wurde abgesegnet. Der Theatermacher, der seit 25Jahren Unternehmer ist, bietet Investoren und auch seinem Publikum an, Genossenschaftsanteile im Wert von jeweils 100Euro zu zeichnen. Maximal dürfen pro Person allerdings nur 50Anteile erworben werden. Bei einer erfolgreichen Geschäftsentwicklung sind bis zu fünf Prozent Rendite pro Jahr auf das eingesetzte Kapital möglich. Neben den neuen Teilhabern wird auch der Prüfungsverband dem Unternehmen weiterhin auf die Finger und in die Bilanzen schauen. „Große Genossenschaften prüfen wir einmal im Jahr, kleinere wie den Engelsaal alle zwei Jahre“, sagt Verbandsvorstand Mittelbach.

„Wir bieten Theaterfreunden mit der Engelsaal-Genossenschaft eine neue Möglichkeit, Kultur in Hamburg zu unterstützen“, meint Wellerdiek. Die Resonanz ist groß. Bereits 1000 Genossen haben Anteilsscheine gezeichnet, darunter auch zahlreiche Stammkunden des kleinen Theaters, das mit Operetten oder Stücken wie „My Fair Lady“ vor allem musikalisch interessierte Zuschauer anlockt.

Mit dem Geld, das die neuen Genossen überwiesen haben, will Wellerdiek nun im gleichen Haus seine zweite Spielstätte eröffnen. „Neben dem Engelsaal gibt es einen weiteren, genau so großen Saal, der jedoch seit der Gründung des ältesten Privattheaters in der Hansestadt im Jahr 1809 mehrfach um- und verbaut wurde. Um den Raum mit zum Teil vergoldeten Stuckdecken als Bühne zu reaktivieren, müssen unter anderem Zwischenwände abgerissen werden. „Es gibt viel zu tun“, sagt Wellerdiek, der für den Umbau des Saals rund 300.000Euro einkalkuliert hat. Die ersten 100.000Euro haben die Genossen bereits überwiesen. „Wir wollen die neue Spielstätte im Frühjahr 2014 einweihen, sagt Wellerdiek, der dann neben dem Musiktheater im Engelsaal auch über ein reines Sprechtheater verfügen wird.

„Wir wollen der Stadt ein echtes Volkstheater schenken.“ Ziel sei ein Programm aus Komödien und Hamburgensien. Dafür will der Unternehmer, der derzeit neben den freiberuflichen Schauspielern sechs fest angestellte Mitarbeiter beschäftigt, 2014 noch eine Marketingfrau und eine Bürokraft einstellen. Der Engelsaal ist laut Wellerdiek schuldenfrei. Auch ohne den zweiten Saal hat der Theatermacher das vergangene Jahr mit einem Gewinn abgeschlossen. Mit einem Verlust wäre die Umwandlung des Unternehmens in eine Genossenschaft vermutlich nicht gelungen. Neben den Vorstellungen in Hamburg verdient das Theater auch mit Gastspielen in anderen Häusern Geld. „Ich habe viele Stücke geschrieben oder umgeschrieben, die nach der Spielzeit in Hamburg an andere Bühnen in Deutschland verkauft wurden“, sagt Wellerdiek. Dann reisen die Schauspieler samt Kulissen zu Gastspielen etwa nach Thüringen, Uelzen oder nach Winnenden bei Stuttgart.

Allein im vergangenen Jahr gab es 30Gastspiele. In Zukunft plant Wellerdiek um die 90Tourneen im Jahr. Seit 2005, als Wellerdiek den Engelsaal in der Neustadt übernahm, wurden etliche Stücke auf die Bühne am Valentinskamp gebracht. Absoluter Renner mit 250 Aufführungen ist das Stück „Komm ein bisschen mit nach Italien“. Dabei handelt es sich um eine Schlagerrevue der 1950er-Jahre. Derzeit schreibt Wellerdiek an „Die 70er-Jahre, ein Festival der Liebe“ und hofft, dass auch dieses Produktion an die italienischen Erfolge anknüpfen kann.

Bevor der Theaterchef, der aus Gütersloh stammt, in Hamburg sesshaft wurde, reiste er durch die Welt. „Ich habe auf Kreuzfahrtschiffen im Entertainment gearbeitet und konnte mich dort ausprobieren“, erzählt er. Zudem hat er Anfang der 80er-Jahre in den USA in Altersheimen gesungen, um sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Danach übernahm er in Hamburg das Hotel Alsterblick auf der Uhlenhorst und weitere Häuser in der Stadt. Wellerdiek war Deutschlands jüngster Hotelier. Doch das Theater ließ ihn nicht los. Der junge Unternehmer kaufte sich in eine Tanzschule ein und schrieb nebenbei bereits an Theaterstücken. „Da kam mir die Idee, die Operette in einem festen Haus und nun auch das Hamburger Volkstheater wieder aufleben zu lassen“, so der 54-Jährige.

Wir wollen der Stadt ein echtes Volkstheater schenken.