Der Psychoanalytiker Sigmund Freud warb in Hunderten Briefen um seine Verlobte Martha Bernays

So köstlich wie im ersten Band sind die Liebeshändel zwischen Sigmund Freud und seiner Verlobten im zweiten Band der ehrgeizigen Briefausgabe nicht mehr. Wie auch? Der Zauber des Ungehörigen, das Ungewisse des Heranpirschens findet sich nur am Anfang einer amourösen Beziehung. Und so lasen wir nur im ersten Band der Brautbriefe, die der damals noch nicht weltberühmte Wiener Psychoanalye-Erfinder seiner Flamme schickte, von seinen verstohlenen Wanderungen durch Wandsbek, wo die Bleibe der Familie Bernays sein Ziel war. Zunächst wurde seine Liebe zu der 20-jährigen Martha nicht gerne gesehen; er war mittellos. Deswegen strich er bei seinem ersten Hamburg-Besuch erst durchs Gehölz, ehe er sich zur Geliebten traute.

Besprochen wurde das Erlebte (und: Nicht-Erlebte) in der reichhaltigen Korrespondenz. Sie war der eigentliche Ort, an dem sich Freud und Bernays kennenlernten. 1500 Briefe sind erhalten, sie werden in insgesamt fünf Lieferungen erscheinen. Der zweite Band trägt den schönen Titel „Unser ‚Roman in Fortsetzungen‘“ und sammelt die 1883 geschriebenen Briefe – gleich im fünften Brief erinnert Freud, wie meist aus Wien nach Norddeutschland schreibend, an ein wichtiges Datum: „Heute vor einem Jahr bin ich nach Wandsbek gefahren, mein Mädchen für mich zu gewinnen, es war der heißeste Tag des Jahres.“

Es treten sich wieder zwei selbstbewusste Autoren gegenüber, und trotzdem ist das geschlechterspezifische Zeitkolorit nicht zu übersehen. Moderne Frauen werden sich schütteln, wenn sie Sätze wie die folgenden des rührend besorgten, aber auch erzieherisch dominanten Freuds lesen: „Ich bin sehr froh, Prinzeßchen, dass Du etwas von mir zum Lesen verlangt hast, Du bist ja so brav, wie ich’s gar nicht für so kurze Zeit erwartet habe.“ Brav ist Martha freilich nicht immer; auch in dieser Beziehung gibt es Krisen, oft ausgelöst durch Sigmunds Eifersucht. Calderon empfiehlt er ihr, Cervantes und die Odyssee. Die Briefe erzählen viel von der Zeit, in dem sie geschrieben wurden, sie sind auch eine emphatische Feier der Liebe. Für die Freud-Forschung sind die Briefe von unschätzbaren Wert, weil sich in ihnen ungeschützt der Charakter des Forschers entrollt. Außerdem teilte er Martha Bernays mit, wie seine Arbeit voranging. Erst 1886 heiratete das Paar (in Wandsbek). Freuds Briefe sind ein Lesevergnügen.

Sigmund Freud/Martha Bernays: „Unser ‚Roman in Fortsetzungen‘“. Die Brautbriefe, Band 2. S. Fischer. 616 S. 48€

Heute vor einem Jahr bin ich nach Wandsbek gefahren, mein Mädchen für mich zu gewinnen.