Andi Otto hat ein neues Instrument erschaffen: ein Cello mit Bewegungssensoren

Der Mensch strebt nach Veränderung. Wer Andi Otto in seiner Wohnung in St.Georg besucht, kann das deutlich spüren. Der Betrachter schaut aus dem Fenster auf die Frauenfigur, die dem Hansaplatz seinen Namen gibt, während die Damen in den Hauseingängen über schmerzende Füße in ihren High Heels klagen. Das hat Tradition. Neu ist, dass Fassaden und Pflaster um sie herum saniert sind. Aus dem Alten wurde etwas anderes herausgearbeitet, von dem unklar ist, wie es sich entwickelt. Ein Prozess, der ebenfalls auf Ottos Schaffen zutrifft. Der 32-Jährige ist ein Pionier. Er hat nicht weniger als ein Instrument erfunden, indem er den Bogen eines Cellos mit Bewegungssensoren und Software verdrahtet hat. Ergebnis: das Fello.

Otto ist ein Typ, der optisch auf Understatement setzt. Das dunkelblonde Haar fällt strähnig, aber nicht gewollt extravagant in die Stirn. Konzentriert setzt er sich in sein Probenzimmer auf einen Hocker und stellt das Cello zwischen den Beinen auf. Er schaltet die Technik an, streicht mit dem Bogen über das Instrument. Otto lässt den Stab um den hölzernen Korpus fliegen, ihn gen Boden ausbrechen, Richtung Decke schnellen. Als spiele er mit der Aura. Seine Gebärden werden immer lebhafter, sein Blick ist ganz ruhig.

Je nach Ausrichtung leuchtet der Bewegungsmelder in Griffhöhe am Bogen in einer anderen Farbe. Blau, rot, grün. Den Tipp erhielt er im japanischen Kyoto, wo der Hamburger drei Monate als „Artist in Residence“ wirkte. „Das muss aussehen wie ein Laserschwert“, hätten ihm die elektronik-verliebten Asiaten empfohlen. Doch die Essenz des Fellos liegt nicht in optischen Highlights, sondern in dem Mix aus Performance und Akustik.

Jedem Schwenk, jeder Drehung und jeder Achse, in die Otto den Bogen lenkt, ist über den Sensor eine Funktion zugeordnet, die eine Software in Sounds und Effekte umwandelt. Und so kann Otto die Akkorde, die aus dem Cello stammen, in etwas Unerwartetes verwandeln. Er kann Echos erzeugen, Töne in Wiederholungsschlaufen schicken, sie dehnen oder filtern. So entstehen komplexe Klanglandschaften, in denen rein die Intuition als Kompass zu fungieren scheint.

Sein drittes Album „Where We Need No Map“, unter dem Pseudonym Springintgut, ist eine hypnotische Erkundungstour durch Stimmungswelten, die von Jazz bis House reichen und die wiederum Einflüsse realer Reisen einbindet. Ein schwüler Tag in Sri Lanka ist beim Hören ebenso zu erleben wie Kinderspiel im Park im indischen Bangalore.

Otto ist ein feinsinniger Ausprobierer, Arrangeur und Avantgardist, der an Altes anknüpft. Den Cellobogen, den er modifiziert hat, besitzt er bereits seit seinem 13.Lebensjahr. Als Teenager bekam er Unterricht und komponierte für ein Cello-Quartett, längst interessiert ihn die klassische Spielweise jedoch nicht mehr. Der Experimentalmusiker nutzt das Instrument lediglich als Klangquelle. Über Kontakte zum rheinischen Elektroduo Mouse On Mars wurde Otto in das Studio for Elektro Instrumental Music, kurz Steim, eingeladen, wo er das Fello entwickelte. Einen Daniel-Düsentrieb-Aha-Moment hatte er an dem renommierten Institut nicht. Sein Erfinden war ein Gestalten, Brüten, Verwerfen und Abändern. Dabei interessierte er sich zunächst gar nicht für elektronische Musik.

Mit 18 trommelte er in Köln zunächst in Punkbands. Mit dem Studium an der Uni Lüneburg erhielt er im Jahr 2000 jedoch Kontakt zu seinem heutigen Plattenlabel Pingipung. „Da habe ich gelernt, dass elektronische Sounds viel tiefer gehen als das Klischeebild von Techno“, erinnert sich Otto.

Mittlerweile ist er mit seinem Fello so vertraut, dass er unbewusst weiß, welche Bewegung welchen Sound erzeugt. Ein Prozess wie beim Autofahren oder Blindtippen. Die Veränderung, sie ist so zur Normalität geworden. Und klingt doch alles andere als alltäglich.