Das beliebteste Kartenspiel der Deutschen feiert 200. Geburtstag – auch in Hamburg

Marion packt zwei Luschen in den Keller, legt den Blinden beiseite, begutachtet ihre Oma, hat eine Flöte auf der Hand, spielt aber nicht die Alten aus, sondern geht dann über die Dörfer. Umgebogen, denn Ende ist der Arsch gespalten.

Wer das für ordinär hält, hat keine Ahnung vom Skat. Im Gegensatz zu Marion Verstraaten. Souverän steht sie im Clubhaus des SV Lurup ihre Frau, hat in jeder Beziehung Glück mit den Buben, lässt einmal sogar die Hosen runter. Wie gut, dass sie keinen Rollmops hat. Auch bei ihr heißt es an diesem langen Abend: gut Blatt! Unter diesem Motto erleben fast 50 Hamburger eine reizende Veranstaltung im Banne besonders gewinnender Zahlen: 18, 20, zwo, drei vier. Gepasst wird nur im Notfall.

Dafür passt die Erkenntnis: Das Gros der Gäste an den Resopaltischen ist gesetzten Alters, auch Marion, die der Deutschen allerliebstes Spiel schon als Kind von ihrem Vater erlernte und stark zockt. „Skat ist eine meiner Leidenschaften“, sagt sie.

Ein paar Plätze weiter mischt Harald Mamerow die Karten. Mamerow ist 68 Jahre alt, seit 2010 Präsident des Hamburger Skatverbands mit 950 Mitgliedern und ein versierter Spieler, dem kaum ein Kniff fremd ist. An diesem Abend zählt er zu den Gästen des Luruper Skatvereins. Immer donnerstags, von 19Uhr bis etwa Mitternacht, geht’s im Vereinslokal an der Flurstraße rund. Das Turnier führt über zwei Serien à 48Spiele. An jedem der ein Dutzend Tische sitzen vier Mann. Was wörtlich zu nehmen ist: Frauen wie Marion Verstraaten sind in der Minderzahl.

Schätzungsweise 90 Prozent der angeblich etwa 20Millionen deutschen Skatspieler sind männlich. Im Verband sind 28.000Aktive registriert; 1992 waren es noch 37.000. Skat ist ein deutsches Kulturgut. Diese Zahlen machen deutlich: Das Blatt wendet sich. Skat reizt nur noch bedingt. War es für die Jugend früher selbstverständlich, Schulpausen oder Busfahrten für einen Skat zu nutzen – am besten die Kombination Bock und Ramsch –, haben Spielkonsolen und Smartphones das Regiment übernommen. Und wer von den Jüngeren zum Blatt greift, pokert lieber. Hinzu kommt der wachsende Widerwille, sich Vereinen anzuschließen. Wird heutzutage in Kantinen, Kneipen oder Clubs Skat gedroschen, handelt es sich zumeist um das reifere Mittelalter – oder darüber hinaus.

Skat-Arbeitsgemeinschaften an den Schulen werden zwar gefördert, sind aber Ausnahmen. Ein gutes Beispiel ist das Hittfelder Gymnasium – aber nur, weil dort mit Hans-Jürgen Neubert ein begeisterter Ehrenamtlicher viel Zeit und Sachverstand investiert. Entsprechend ist es nicht einfach, Schiedsrichter für die reizenden Clubabende zu finden. Präsident Mamerow schätzt, dass mehr als zwei Drittel der Mitspieler dort über 60Jahre alt ist.

Das Angebot ist groß. Egal, ob bei den Billstedter Lausbuben, den Alsterbuben in Ottensen, den Bahrenfelder Assen, bei Pik As in Rahlstedt, bei Herz Sieben in Duvenstedt oder auch beim HSV: Gäste sind herzlich willkommen. Die meisten jedoch frönen dem Vergnügen mit 32 Karten und 120 Punkten im heimischen Wohnzimmer oder in den noch verbliebenen Eckpinten der Stadt.

Der offizielle, streng reglementierte und in letzter Instanz vom Deutschen Skat-Gericht im thüringischen Altenburg kontrollierte Skat ist nicht jedermanns Sache. Am privaten Tisch gelten die eigenen Gesetze, zum Teil mit Spitze, Kontra und Re oder anderen Spielverschärfungen. Hier wie dort sind Kiebitze nicht wohlgelitten, jene mehr oder weniger stillen Zuschauer, die alles besser wissen – vor allem nach dem letzten Stich. Auch das macht den Reiz: Beim Skat sind Glück und Können, Strategie oder Husarenauftritte meisterlich gepaart. Wer ein erstklassiges Blatt hat, kann verlieren – und umgekehrt. Seit genau zwei Jahrhunderten ist das so.

„Wer einmal richtig Skat gespielt hat und um die einmaligen Reize weiß, bleibt lebenslang dabei“, weiß Michael Voss vom Luruper Skatverein. „Man bleibt geistig rege“, ergänzt Harald Mamerow. Liga-Obmann Rüdiger Oltmanns, der frühere Trabertrainer Walter Heitmann, Kassenwart Rüdiger Kastenholz und Gerd Wolter nicken zustimmend. Letzterer erlernte das Skatkloppen von seinem Vater, einem Maurer. Bei schlechtem Wetter ging es im Bauwagen zur Sache. Solche Einsätze sind heutzutage die Ausnahme. Wie Melanie Meyer am Nebentisch bestätigt. Sie ist jung und eine Frau, zählt damit zu einer raren Spezies in der Hamburger Skatwelt. Die 23-jährige Außenhandelskauffrau aus Farmsen-Berne spielt in Reihen des Klubs Hansa. Von Kindheit an erfuhr sie von ihren Eltern Petra und Manfred: Wer eine Oma umbiegt, ist aus dem Schneider.

Wer einmal richtig Skat gespielt hat und um die einmaligen Reize weiß, bleibt lebenslang dabei.