Holger Jung hat die erfolgreichste Werbeagentur Deutschlands aufgebaut

Zum Warmwerden erst einmal vier schnelle Fragen. HSV oder St. Pauli? „Gar kein Fußball.“ Bier oder Wein? „Wein.“ Til Schweiger oder Simone Thomalla? „Simone Thomalla, schon weil sie eine Frau ist.“ Fisch oder Fleisch? „Mal so, mal so.“

Holger Jung hat Mühe, auf dem tiefen Sofa des Besucherzimmers seiner Werbeagentur im Karolinenviertel seine langen Beine zu sortieren. Ein groß gewachsener Mann. Der Nadelstreifenanzug tut ein Übriges. Weißes Hemd, offener Kragen, elegante Schuhe. Die glatte Denkerstirn zieht sich im Grunde über den gesamten kahlen Kopf. Seine Augen sind wach und vermitteln einem freundlich: Her mit den Fragen!

Holger Jung, 59, hatte einmal richtig viele Haare auf dem Kopf. Das war 1966. „Ich war 13 und hatte bis dahin eine entspannte Kindheit.“ Behütet aufgewachsen in Groß Borstel am Flughafen. Die Mutter Hausfrau, der Vater arbeitete als Elektroingenieur auf der Deutschen Werft, die ältere Schwester war schon aus dem Haus.

„1966 brach plötzlich alles auf. Und ich brach mit auf.“ Rock ’n’ Roll. E-Gitarre spielen, Schlagzeug lernen. Er wollte nie mehr zum Friseur. „Ernsthaft.“ Lange Haare waren cool. „Mit kurzen sah man richtig Scheiße aus.“ Der Vater konnte das nicht verstehen. „Das war eine andere Zeit, das kann man sich heute nicht mehr vorstellen“, sagt Holger Jung. „Im Bus haben mich Rentner wegen meiner langen Haare bespuckt.“ Mehr als einmal bekam er zu hören: „Solche Langhaarigen wie du gehören ins Konzentrationslager.“

Die Agentur Jung von Matt (JvM) beschäftigt heute mehr als 1050Mitarbeiter an 13Standorten. Es gibt Büros in Berlin, Wien und Peking. Das Stammkapital der nicht börsennotierten Aktiengesellschaft beträgt zwei Millionen Euro. 2011 stieg der Umsatz auf 112,9 Millionen Euro.

Mit 15Jahren ist Holger Jung zu Hause ausgezogen. „Zum Glück haben meine Eltern nicht überreagiert. Die dachten, der Junge kommt bald wieder zurück. Wie soll das sonst auch gehen mit 20Mark Taschengeld im Monat?“

Holger Jung kam nicht zurück. Er zog in eine WG, verdiente sich Geld mit Nachhilfeunterricht, machte Abitur, studierte sechs Semester Jura, war in der KPD/ML (Kommunistische Partei Deutschlands/Marxisten-Leninisten). „Damals waren doch alle irgendwie politisiert. Es gab einen gemeinsamen Leidensdruck. Dass man ständig angefeindet wurde, hat einen radikalisiert.“

Im Jahr 2006 hat Mercedes seinen 70-Millionen-Euro-Werbeetat an JvM vergeben. Die Werber aus Hamburg sind vielfach preisgekrönt und räumen seit Jahren weltweit zahlreiche Auszeichnungen ab. Vor zehn Jahren wurden die beiden Agenturgründer Holger Jung und Jean-Remy von Matt in die Hall of Fame der Werbung aufgenommen. „Ich bin kein Kreativer“, sagt Holger Jung. Er hat sein Studium abgebrochen. Er hatte alle Scheine, aber wollte er Richter werden? Nee, nicht wirklich. Und Anwalt? Auch das eher nicht. Um mit Musik Geld zu verdienen, reichte sein Talent nicht, sagt er. Als Assistent eines Fotografen stellte er sich anschließend auch nicht geschickt an.

Weil er aber die Zusammenarbeit des Fotografen mit den Leuten aus der Werbung spannend fand, bewarb er sich 1977 bei der Agentur Lintas, die zum Unilever-Konzern gehörte. Nach drei Tagen blieben von 60Bewerbern vier übrig. Später erfuhr Holger Jung, dass er auf Platz vier gelandet war. Dann sagten die ersten drei aus unterschiedlichsten Gründen ab – und Jung hatte den Job.

„Geiz ist geil“, „Du bist Deutschland“, „Drei, zwei, eins, meins“ – die Welt von Jung von Matt lässt sich manchmal auf drei oder vier Worte reduzieren. Es gibt diese Geschichte, wie Jung von Matt als junge Agentur den Porsche-Etat gewonnen hat. Die großen Agenturen kamen mit 20Mitarbeitern, dicken Akten und einem Haufen Folien nach Zuffenhausen, dem Sitz des Autobauers. Holger Jung und Jean-Remy von Matt reisten in einem Porsche an und sagten dem Vorstand: „Wir sind zu zweit hier, weil in einen Porsche nur zwei Leute reinpassen.“

Als Aufsichtsrat arbeitet er nicht mehr ganz so viel, hat mit Peter Figge als neuen JvM-Chef einen überzeugenden Nachfolger. Er kann mit seiner Frau und den drei Kindern – die Tochter ist 14, die Zwillinge sind neun – die kompletten Ferien im Frühjahr, Sommer, Herbst und Winter zusammen verbringen. „Das ist ein ganz großes Geschenk.“ Er spielt mit Freunden in der Band Gone Fishin, ist als Professor an der Fakultät Gestaltung der Hochschule Wismar tätig und seit Kurzem auch Honorarkonsul von Monaco.

Welchen Slogan würde er seinem Leben geben? Er muss nicht lange überlegen: „Verdammt viel Glück gehabt.“

Verdammt viel Glück gehabt.