Jeder vierte Fall vor Hamburgs Zivilgerichten beschäftigt sich mit dem Herunterladen von Musik- oder Filmdateien

Vor Richter Hans Christian Lohmann am Amtsgericht Hamburg-Mitte stehen meist gestandene Familienväter, die bisher nicht mit dem Gesetz in Konflikt gekommen sind. Dennoch werden sie mit hohen Schadenersatzforderungen konfrontiert. Es geht um Urheberrechtsverletzungen im Internet, dem unberechtigten Herunterladen von Musik, Filmen, Computerspielen, Fotos oder Texten. Das geschieht häufig in Tauschbörsen. „Ob der Beschuldigte dafür verantwortlich ist, das ist oft schwer zu ermitteln. Zu komplex ist der genaue Sachverhalt“, sagt Lohmann und rät den Beteiligten zu einem Vergleich. Vor Gericht stehen die Männer, weil sie Inhaber eines Internetanschlusses sind, von dem die Urheberrechtsverletzung begangen worden sein soll. Immer mehr Beschuldigte ignorieren die Abmahnungen und Forderungen der auf Urheberrechtsverletzungen spezialisierten Kanzleien und landen deshalb vor Gericht. Fast jeder vierte Fall in Zivilsachen in Hamburg dreht sich um das Urheberrecht. Eine solche Konzentration gibt es in keinem anderen Bereich, selbst nicht bei Miet- oder Verkehrsrechtssachen. „Wir rechnen damit, dass sich die Fälle innerhalb von zwei Jahren verzehnfachen werden und haben deshalb weitere Richter für diesen Bereich abgestellt, die aber bei anderen Verfahren fehlen, weil es keine zusätzlichen Richterstellen gibt“, sagt Matthias Buhk, Direktor des Zivilsegments des Amtsgerichts Hamburg. Seiner Einschätzung liegt eine Hochrechnung des Amtsgerichts Hamburg-Mitte zugrunde, an dem alle Urheberrechtsverfahren konzentriert werden. Danach wird in diesem Jahr mit 3000 Verfahren gerechnet. 2011 waren es erst 270.

Wer Urheberrechte verletzt, muss damit rechnen, eine Unterlassungserklärung zu unterschreiben, Schadenersatz zu leisten und die Anwaltskosten zu bezahlen. Die durchschnittlichen Forderungen bewegen sich nach einer Aufstellung der Interessengemeinschaft gegen den Abmahnwahn (IGAW) je nach Kanzlei zwischen 463Euro und 1565Euro pro Fall. Im Einzelfall liegen die Forderungen aber weit darüber.

Zu den am häufigsten abgemahnten Werken 2012 zählten nach Angaben der IGWA der Kinofilm „Ziemlich beste Freunde“ und das Album „Echt“ der Band Glasperlenspiel. Die Werke werden über Tauschbörsen im Internet heruntergeladen und gleichzeitig vielen anderen Nutzern unentgeltlich zur Verfügung gestellt. Aus diesem Umstand werden die hohen Schadenersatzforderungen abgeleitet, die weit über dem Ladenpreis der Werke liegen. „Häufig geht es beim Schadenersatz um eine Größenordnung von 150 bis 450Euro. Hinzu kommen Abmahnkosten in oft knapp vierstelliger Höhe“, sagt Lohmann. „Ich kann beide Seiten verstehen“, sagt er. Für die Beschuldigten sei die Höhe der Ansprüche problematisch. „Doch die Rechteinhaber müssen auch ihre Interessen durchsetzen. Wenn ihre Werke kostenlos getauscht werden, können sie kein Geld mehr verdienen.“

Verbraucherschützer und Anwälte raten Betroffenen zu einer außergerichtlichen Lösung. „Das ist immer billiger, als wenn erst vor Gericht ein Vergleich geschlossen wird“, sagt der Hamburger Anwalt Henning Werner von der Hamburger Kanzlei RHS, der für die Verbraucherzentrale arbeitet. Außerdem warnt er davor, die geforderte Unterlassungserklärung zu unterschreiben. „Es gilt, eine modifizierte Unterlassungserklärung abzugeben, die kein Schuldeingeständnis ist und es vermeidet, schon eine Schadenersatzhöhe für einen künftigen Verstoß festzulegen.“ Im zweiten Schritt sollte versucht werden, Schadenersatz und Anwaltsgebühren zu reduzieren.

Den ersten Rat beherzigen die meisten, doch die Geldforderungen bleiben sie schuldig. Klagefreudige Kanzleien ziehen die Beschuldigten dann vor Gericht. Und damit beginnt die Arbeit von Richter Lohmann und seinen Kollegen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) wird dem Anschlussinhaber unterstellt, dass er für die Rechtsverletzung verantwortlich ist. Die Strategie der Beschuldigten läuft nun darauf hinaus, das zu entkräften, weil es noch andere Familienmitglieder oder WG-Bewohner gibt, die Zugang zum Computer haben. Zumindest bei minderjährigen Kindern hat der BGH jetzt entschieden, dass eine Belehrung über die Rechtswidrigkeit einer Teilnahme an Internettauschbörsen durch die Eltern ausreicht. Eine Kontrolle oder Überwachung des Computers des Kindes sei nicht erforderlich (Aktenzeichen: I ZR 74/12).