Der Hafen von Suez oder das weiße Beatles-Album, fliegende Erdbeeren oder Mozarts „Kleine Nachtmusik“, Amerikas Verfassung oder das Vaterunser in 80 Sprachen: Was man auf der igs alles entdecken kann – ein Rundgang von Irene Jung

Krishna Shaktidas kniet auf einem kleinen Hügel im „Garten der Religionen“ und streicht mit einer Kelle den Boden für sein kreisrundes Mandala glatt. Auf einer Bank liegt sein Musterbild, eine stilisierte Blüte, gefüllt mit roten Dreiecken. Wenn die Grundierung getrocknet ist, wird es mit Acrylfarben aufgemalt. „Es wird ein Shri-Yantra“, sagt Krishna Shaktidas, „eine Manifestation der Schöpfung und der Glücksgöttin Shri. Ein schönes, leitendes Symbol für die Stadt, finde ich.“ Vor mehr als 20 Jahren fand der Hamburger, der mit bürgerlichem Namen Thomas Grabolle heißt, zum Hinduismus, lebte als Mönch in Indien und bietet heute „vedisches Coaching“ an. Sein Mandala wird den Garten schmücken, den Hamburgs hinduistische Gemeinde auf der igs gestaltete – neben dem Garten des Judentums, des Islam, der Buddhisten und der Christen.

Klar ist: Mit einem Besuch allein wird man die Vielfalt dieser Gartenwelten und -themen nicht erfassen können. Selbst für eine Stadt mit so langer Gartenschau-Tradition wie Hamburg ist das Konzept der igs eine Premiere: Eine Weltreise in Form von Gärten – das hat es so noch nicht gegeben. Seit 2005 nahm diese Idee allmählich Gestalt an, erzählt der Bonner Landschaftsarchitekt Stephan Lenzen, der für die Gesamtplanung der igs verantwortlich ist.

Im Team seiner Firma RMP entstand auch das Motto „In 80 Gärten um die Welt“. „Als wir uns den Lageplan mit dem Hauptrundweg anschauten, fanden wir, dass er wie eine Reiseroute aussieht“, sagt Lenzen. „Und da kam ein Kollege mit dem Vorschlag, wir könnten uns doch an Jules Vernes ,In 80 Tagen um die Welt' orientieren.“ Aus den „Tagen“ wurden „Gärten“, die auf sieben Themenwelten verteilt sind. Diese Welten eröffnen den Besuchern einen inhaltlichen Horizont, der über reine Schaupflanzungen weit hinausgeht.

Die Themenwelten der igs verbinden – wie eine Art grüne Expo – wichtige aktuelle Gesellschaftsfragen mit einer modernen Idee vom Garten. Die Besucher finden nicht nur Anregungen für die eigenen Gärten. Hier will eine neue Generation von Garten-Designern auf innovative, manchmal sogar gewagte Weise Architektur und Landschaftsgestaltung, ästhetische und ökologische Elemente kombinieren und in gärtnerischer Form mit Traditionen, Kunst und Kontroversen spielen.

Das beginnt schon am Haupteingang in der „Welt der Häfen“. Ihre 17 Gärten haben jeweils die Grundform von 20-Fuß-Containern, wie sie millionenfach im Hafen verladen werden. Wie in einer Kette führen sie am zukünftigen Kanukanal vom Wilhelmsburger Bürgerhaus zum Kükenbrack entlang und sind nach den 16 Hafenstädten benannt, die Jules Vernes Romanheld Phileas Fogg mit seinem Diener Passepartout bereiste – beispielsweise New York, Dover und Calais, Shanghai, Singapur, Suez und Liverpool (natürlich ist Hamburg hinzugefügt). In jeder Stadt erleben die Besucher typische Eindrücke, durch die Bepflanzung oder symbolisch. Dover und Calais etwa stellen die Mainzer Landschaftsarchitekten Bierbaum und Aichele mit gegenüberliegenden „Kreidefelsen“ dar, die sie mit einem Meer wogender Gräser verbinden – im Frühjahr Bärenfellgras, im Sommer dann Feder- und Moskitogras. Den „Suez“-Garten hat sich der Berliner Landschaftsarchitekt Kamel Louafi als Kanal vorgestellt, an dem Fässer und Krüge mit orientalischen Waren stehen. Im Hintergrund erinnert eine Dünenlandschaft mit Dünenskulpturen an die Wüste. In „Liverpool“ geht es natürlich um Hamburgs Beziehung zu den Beatles: Stephan Lenzen und RMP erinnern unter anderem mit einer überdimensionalen weißen Schallplatte an das „Weiße Album“. Auf offenen Flächen, in berankten Container-Rahmen oder echten Containern bietet die „Welt der Häfen“ eine Erinnerungs- und Assoziationsreise von Amerika über Europa nach Asien.

Auch in den „Wasserwelten“ wird das Thema nicht nur über nachgebildete Landschaften behandelt. Wie begehbare Bilder liegen die Themengärten nebeneinander in offener Graslandschaft am Rathauswettern, dem Kanal nördlich vom Kükenbrack. Niederländische Landschaftsgestalter führen durch eine rot-weiß geflieste „Küche“, in der man erfährt, wie viel Wasser Nutzpflanzen wie Sonnenblume, Mais, Apfelbaum und Weinrebe brauchen, bevor wir ihre Erträge konsumieren können. Der „Geysirgarten“ von RMP bettet seine Wasserfontäne in eine Steinlandschaft mit Moosen und Sedum. Dagegen präsentiert der „Aquarellgarten“ der Hamburger arbos Freiraumplanung eine verschwenderische Vielfalt bunter Stauden und Bodenflächen, die sich Emil Nolde nicht schöner hätte ausdenken können.

Wer mit der Monorailbahn eine erste Erkundungsfahrt durch die igs unternimmt, blickt auf viele der Gärten von oben – und erhält einen Eindruck von den erstaunlichen Materialien, die Landschaftsgärtner verwenden. Blaue Acrylkugeln täuschen Wasserflächen vor wie im Garten „Blaue Fata Morgana“. Aus braunen, roten, lavagrauen und schwarzen Erden, Splitt, Kieseln und Hölzern lassen sich Muster, Inseln und farbig verschlungene Wege formen. Ein wulstiger Stein mit einer imposanten Schwarzkiefer erhebt sich plötzlich hoch über den Park – nein, kein Zen-Garten, sondern das Sinnbild einer Insel im Garten „Sansibar oder der letzte Grund“, den sich der schottische Landschaftsarchitekt Max Gross aus Edinburgh ausgedacht hat. Diese Insel bleibt unerreichbar wie so mancher Südseetraum – auch das kann man gärtnerisch ausdrücken.

Der nächste Überraschungsanblick aus der Monorailbahn: Ausgerechnet im Parkbereich „Naturwelten“ liegt der „Intergalaktische Garten“ mit riesigen Stahlsternen, in dem man sich fühlt wie Douglas Adams' Galaxis-Anhalter, der auf dem fernen Planeten Magrathea gelandet ist. Im Gartenraum „Fliegende Erdbeeren“ wird Natur mit Künstlichkeit konfrontiert: Die Früchte hängen aus weißen Nährbehältern von der Decke, sie wachsen in Watte. Diese Parabel auf die moderne Massenproduktion hat sich Lenzens RMP-Büro ausgedacht.

Der mal spielerische, mal informative Umgang mit Welt- und Umwelt-Themen ist Programm. Zu erzieherisch soll der Rundgang allerdings auch nicht werden, sagt Lenzen. Aber keine Sorge: Wer einfach schön angelegte Beete, duftende Stauden und neue Sorten erleben möchte, kommt auch auf seine Kosten. Zum Beispiel auf dem Rosen-Boulevard. Zu den mutmaßlichen Publikumsmagneten der igs wird aber auch der südliche Teil des Parks gehören, in dem die neuen Kleingartenkolonien und der Bereich „Lebendige Kulturlandschaften“ liegen. Gemeint sind fünf typische Landschafts-Klassiker des Hamburger Umlands, die hier mit Liebe zum Detail nachgebildet sind: die holsteinische Knicklandschaft, die Pinneberger Baumschulen, die Gemüseanbaugebiete der Vier- und Marschlande, die Obstwiesen des Alten Landes und die Lüneburger Heide. Allein die mit Wildblumen besäten Knicks sind einen Abstecher wert.

Sehenswert sind auch die Musterkleingärten mit den neuen Laubentypen, die der „Landesbund der Gartenfreunde“ den Besuchern öffnet. Damit sie nicht so unbewohnt wirken, haben Landesbund-Mitglieder sie aus privaten Beständen provisorisch eingerichtet. Sie legten auch Generationen-, mediterrane und asiatisch anmutende Gärten an, die sicher nicht nur Kleingärtner inspirieren werden. Nach der igs werden die Parzellen ordnungsgemäß verpachtet – erste Interessenten gibt es schon.

Und natürlich werden Hamburgs weltoffene Gartenfans auch Gärten anderer Klimazonen bestaunen können. In der „Welt der Kontinente“ leuchtet schon von Weitem das „Afrikanische Dorf“ mit seinen rot bemalten Baumstämmen, neben denen die typischen Zutaten des südafrikanischen Nationalgerichts Braai wachsen: Kohl, Kürbis, Süßkartoffeln. Da fehlt nur noch ein Springbock. Für die ozeanischen Gartenimpressionen hat Stephan Lenzen neuseeländische und australische Gartenarchitekten gewonnen. „Noa Noa“ inszeniert ein tahitianisches Tattoo aus Blumen, etwa Dahlien, Lilien, Bergenien und Farnen, das die Bildfarben von Paul Gauguin aufnimmt. Stephan Lenzen selbst hat den Garten „Klangvoll“ interaktiv mit Musik gestaltet. Inmitten beschnittener Buchsbaumformen in unterschiedlichen Grüntönen steht eine große Mozartkugel; bewegt man sie, erklingt Mozarts „Kleine Nachtmusik“ oder eine Arie aus „Die Entführung aus dem Serail“. Einen Kontrast bildet der amerikanische Garten, den der renommierte US-Landschaftsarchitekt Ken Smith, auch ein ausgebildeter Designer, als Spiel kreierte: Bei „Dreamopoly“ schreiten die Besucher Feld für Feld die Elemente des amerikanischen Traums ab – Kapitalismus, Wohltätigkeit, das in der Verfassung garantierte Recht auf Glück, aber auch Bürgerrechte und Gleichberechtigung.

Von den „Kontinenten“ biegt die Monorailbahn nach links ab zur „Welt der Kulturen“ rund um den Kuckucksteich, den Mittelpunkt des gesamten Inselparks. Hier konzentrieren sich Beteiligungsgärten, die in Zusammenarbeit mit Wilhelmsburgern entstanden – mit Schulklassen und multikulturellen Stadtteilinitiativen wie dem Türkischen Elternbund. Die igs will nicht nur die Internationalität der Wilhelmsburger herausstellen; sie möchte vor allem erreichen, dass sich die Stadtteilbewohner mit ihrem Inselpark wirklich verbunden fühlen. Die Ortswahl war klug: Nirgendwo lässt sich im Sommer so schön gemeinsam grillen wie am Wasser. Acht Hochbeete, die Schulkinder der katholischen Bonifatiusschule zusammen mit Gärtnern des Interkulturellen Gartens Wilhelmsburg zum Thema „Heimat“ gestaltet haben, erzählen Geschichten aus Herkunftsländern. Und wer die Füße ins Wasser baumeln lassen und lesen will, kann sich in dem wetterfesten Bücherschrank („Babelturm“) mit Werken in unterschiedlichen Sprachen versorgen.

Im Nordosten des Inselparks, am Haupteingang der igs, beginnt die „Welt der Bewegung“ mit der Kletterhalle, der beeindruckenden Skatebahn, dem Seilgarten und der Schwimmhalle. Diese Anlagen, auf denen jetzt schon lebhaftes Treiben herrscht, werden den Wilhelmsburgern auch nach Abschluss der igs erhalten bleiben.

Ganz anders der Nordwesten, auf der anderen Seite der Wilhelmsburger Reichsstraße: Hier befindet sich unter alten Bäumen der lauschigste und ruhigste Teil der igs mit der „Welt der Religionen“. Begleitet von der Hamburger Landschaftsarchitektin Gudrun Lang haben in diesem Bereich fünf Religionsgemeinschaften hier Inhalte ihres Glaubens als Gärten dargestellt – noch eine Premiere.

Christen können einen „Lebenspfad“ mit sechs Stationen beschreiten – von der Taufe bis zum Lebensende, das durch einen eng bewachsenen Heckenpfad symbolisiert ist. Dieser Pfad führt schließlich ins Licht und zu einer Gedenkmauer, die die evangelische Pastorin Corinna Peters-Leimbach zusammen mit Jugendlichen aus Lehm gebaut hat. Auf eine Glaswand hat der Glaskünstler Raphael Seitz das Vaterunser in 80 Sprachen geätzt. Jeden Tag um 17 Uhr wird hier das Vaterunser gebetet – jeder ist eingeladen.

Die Muslime, berühmt für ihre Gartenkunst, dachten sich einen Paradiesgarten aus. Ein kleiner, halbmondförmiger Hügel wird mit gelb blühenden Azaleen bepflanzt, in deren Honigduft man auf Sitzkissen ausruhen kann. Ganz entspannt sitzt auch der steinerne Buddha 20 Meter entfernt im Schatten eines Baumes. Die hinduistische Gemeinde hat in drei Farben den dreifachen Weg zur Erlösung nachgestaltet, er endet an Krishna Shaktidas' Mandala. Im Garten der Jüdischen Gemeinde ist die Schöpfungsgeschichte nachvollziehbar. Man muss sich hineinbegeben in das schwarze Zelt als Symbol der Finsternis, aus der alles entstand.

Hinter der alten Kapelle haben die Grabmal-Gestalter ihre Ausstellungsfläche. Auch hier zeigt eine neue Generation von Steinmetzen, was sie kann und wie die Erinnerungskultur des dritten Jahrtausends aussieht.