Ein ungewöhnlicher norddeutscher Heimatfilm im Kino: Er zeigt aus der Vogelperspektive, wie der Fluss zum Strom wird – und interessante Menschen, die an seinen Ufern leben

Distanz schafft Überblick. Aus etwa 200 Meter Höhe lassen sich Struktur und Charakter einer Landschaft wunderbar erkennen. Dass die Vogelperspektive auch die Ästhetik eines Flusslaufs offenbaren kann, beweist der Kameramann Michael Dreyer. Bei der Produktion des dokumentarischen Kinofilms „Die Elbe von oben“ hat er mit einer speziellen Kamera gearbeitet, die an einem Helikopter befestigt ist. Aus Distanz wird immer dann Nähe, wenn Dreyer aus dem Panorama an ein Detail heranzoomt und ein Boot, ein Haus, einen Menschen in den Fokus nimmt.

„Die Elbe von oben“ von Regisseur Marcus Fischötter zeigt nicht den ganzen Fluss, der im tschechischen Riesengebirge entspringt. Gezeigt werden die letzten 250 Kilometer, in denen sich die Elbe von Schnackenburg bis zur Küstenstadt Cuxhaven windet, wo Deutschlands zweitlängster Fluss in die Nordsee mündet.

Es ist ein norddeutscher Heimatfilm, der in Bildern schwelgt und einen der letzten europäischen Flüsse zeigt, die trotz vieler Eingriffe auf weiten Strecken noch relativ naturnah geblieben sind. Die Siedlungsstrukturen von Rundlingsdörfern im Wendland, deren Höfe sich kreisförmig um den Dorfplatz gruppieren, lassen sich aus der Luft gut erkennen. Dann wechselt die Perspektive, und aus dem Panorama der Landschaften, Städte und Dörfer werden Nahaufnahmen von einzelnen Menschen. Was sie erzählen, sind Geschichten vom Leben am Fluss.

So erzählt Elisabeth Schwartau, die frühere Küsterin der St.-Gertrud-Kirche von Altenwerder, was sie empfunden hat, als ihr Haus und ihr ganzes Dorf vom Erdboden verschwanden. 1961 hatte der Hamburger Senat beschlossen, Altenwerder der Hafenerweiterung zu opfern, 1978 rollten die Bagger an. Noch heute geht Elisabeth Schwartau an die Stelle, wo früher ihr Haus stand, dessen Grundstück 300Jahre lang im Familienbesitz war. „Es tut weh, wenn ich hier stehe“, sagt die alte Dame, die zu jenen Dorfbewohnern gehört, deren Protest dazu geführt hat, dass wenigstens die Kirche im Dorf blieb, auch als es das längst nicht mehr gab. Heute steht St. Gertrud auf einem absurd schmalen Grünstreifen zwischen Containergebirgen und dem Betonstrang der Autobahn, wie die Luftaufnahme zeigt.

Wenig später kommt die Hamburger Innenstadt ins Bild, mit HafenCity und Speicherstadt, St.-Pauli-Landungsbrücken und immer zahlreicheren und immer größeren Schiffen auf dem Strom. Winzig klein erscheint der Aussichtsturm auf dem Süllberg, doch bald wird er größer, und schließlich erkennt man einen Mann, der ganz oben steht, die Kamera im Anschlag. Es ist Thomas Kunadt, ein Shipspotter, der hier den idealen Platz gefunden hat, um die dicken Pötte auf der Elbe zu fotografieren.

Über manchen dieser Menschen am Strom hätte man gern mehr erfahren, aber diesen langen Atem kann ein Film nicht haben, der alles im Fluss, alles in Bewegung zeigen und nirgendwo länger verharren will. Dafür bietet er Ein- und Überblicke wie in einem heimatkundlichen Miniaturwunderland.