Nach 42 Jahren schließt Schuhmacher Claus Förthmann seinen Laden in Ottensen

Es waren ungemein arbeitsame, unter dem Strich jedoch gute, erfüllende Zeiten. Schuster Claus Förthmann hat sein Handswerkszeug beiseite gelegt und seinen Laden an der Grenze zwischen Ottensen und Othmarschen für immer geschlossen. Mehr als 40Jahre Selbstständigkeit liegen nun hinter ihm. Mit 71 Jahren ging Förthmann in den Ruhestand.

Was aus dem Einmannbetrieb im Souterrain des Hauses an der Ecke Bei der Rolandsmühle/Am Rathenaupark wird, ist ungewiss. Ein Schuster wird nicht wieder einziehen. Das Handwerk in der Seitenstraße – praktisch ohne Laufkundschaft – wirft nicht mehr genug ab, um existieren zu können.

Ein Jahr vor Gründung der Bundesrepublik war das noch ganz anders. 1948 zog Schuhmacher Stecher aus dem ausgebombten Hamm an die Rolandsmühle im Westen der Hansestadt. Auf einer Schott'schen Karre wurde das Werkstattzubehör zu Fuß nach Ottensen geschafft. Es war der Marsch in ein neues Leben. Stecher arbeitete unten im Haus, oben wohnte er mit seiner Familie. Das war praktisch. Auf dem Sterbebett übergab der alte Mann 1972 das Geschäft an den Gesellen Claus Förthmann. Vereinbarungsgemäß wurden nach und nach 20.000Mark an die Witwe bezahlt. Dafür musste Förthmann in den Anfangsjahren an sieben Tagen in der Woche arbeiten.

Ein Besuch in seinem Laden lässt eine vergangene Ära aufleben. Die Uhr im Holzgehäuse über der Eingangstür tickt seit Jahrzehnten akkurat. Das passt ins Bild. Daneben hängen Rahmen mit Seidenmalerei: Erinnerungen an einen nicht immer zahlungskräftigen Kunden. Es sind Motive des Oevelgönner Fährhauses und anderer Orte am nahe gelegenen Elbufer. Ansonsten galt Anschreiben nur in Ausnahmefällen. Bares ist Wahres – und das Fundament einstmals goldenen Handwerks.

Auf dem Tresen steht silbern glänzend eine uralte Kasse. Beim Betätigen des Hebels rattert sie wunderschön. Es ist der Klang von früher. Die Fächer im Regal dahinter schufen die Grundlage handwerklicher Ordnung: von eins bis zehn sauber aufgeteilt für die nummerierten Abholscheine. Weiße Papiertüten waren für reparierte Damen-, die braunen für Herrenschuhe.

Die vielleicht wichtigste Ausstattung des Verkaufsraums jedoch steht rechts an der Wand: zwei schlichte Stühle aus dunkel gebeiztem Holz. Darauf ließen sich die Kunden nieder, um Klönschnack zu halten. Denn Förthmann hatte nicht nur als Handwerker einen vorzüglichen Ruf, sondern spielte auch als Sozialstation und Nachrichtenbörse eine Rolle im Viertel.

Seit seinem Rentenbeginn, theoretisch zumindest, ist Meister Förthmann kürzergetreten. Nicht aus freien Stücken, sondern wegen Anneliese, seiner Lebensgefährtin. Bis zu ihrem Tod kürzlich im Alter von 89 Jahren pflegte der Schuhmacher die Liebe seines Lebens hingebungsvoll. In ein Heim sollte sie nicht. Es ist eine Geschichte für sich: Beide lernten sich während einer Busreise nach Gretna Green im Süden Schottlands kennen.

„Wer will heiraten?“, fragte der Reiseleiter damals. Rein symbolisch natürlich nur. Anneliese und Claus trauten sich, aus Spaß. Zurück in Rellingen nahm der Schuster sein Herz in beide Hände, organisierte einen Blumenstrauß und klingelte an Frau Motbergs Tür. 17 Jahre ist das her, und viele in Ottensen und Othmarschen kennen Details dieser rührenden Liebesbeziehung. Ende des Jahres will er die Wohnung in Rellingen verlassen. Zu groß und zu teuer.

„Ich bin ein Pietscherbüdel“, sagt Förtmann. Gemeint ist eine akkurate bis penible Arbeitsweise. Die Arbeit habe sich binnen seiner 56Jahre als Schuster praktisch nicht verändert, meint Förtmann im Rückblick. Die drei Maschinen, Batterien von Werkzeugen, Leder und Gummi, Hunderte verschiedener Absätze, Garn, Nieten, Ösen und Leim im Werkraum und dem kleinen Lager nebenan beweisen dies.

Rechts von der Schuhpresse steht ein Nordmende-Radio von beeindruckenden Ausmaßen. Es stammt von Claus Förthmanns erstem Gesellenlohn anno 1960. Das Radio hat der Schuster jetzt mit nach Hause genommen. Als Erinnerung.