Mit 30.000 Euro sichert der wohlhabende Hamburger Reimund Reich zehn Frauen ein Zuhause auf dem HAW-Campus

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Schicksalsschläge ihres Lebens erwähnt sie in Nebensätzen. „Umjezogen sind wir damals in Woldegk, weil mein Vater sich uffjehängt hatte“, sagt Gunni. Im nächsten Moment lacht die kleine Frau mit den orangeroten Haaren, macht eine „Mein Haus, mein Auto, mein Boot“-Geste und sagt: „Das hier ist mein Zuhause.“

Ihr Zuhause nennt die 52-Jährige einen knapp acht Quadratmeter großen Raum. In dem Zimmer stehen ein Bett, ein Tisch und ein Spind. Gunni hat es sich gemütlich gemacht, sie hat Fotos aus Zeitschriften ausgeschnitten und an die Wände geklebt. Auf einem ist die Ex-First-Lady zu sehen: Bettina Wulff strahlt in die Kamera, in einem cremefarbenen Mantel und weißer Hose steht sie im Garten vom Schloss Bellevue. Dazu Gunni: „Wieso? Die hat ihre Stadtvilla und ich hier meine Luxuswohnung, das passt doch.“

Die fröhliche Frau ist eine von zehn Bewohnerinnen des Containerprojekts auf dem Campus der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) am Berliner Tor. Studierende des Departments Soziale Arbeit übernehmen als Teil ihrer Ausbildung die Betreuung und Unterstützung der Frauen in der Notunterkunft. Sie begleiten die Obdachlosen zum Arbeitsamt, suchen Wohnungen oder sind einfach nur gute Zuhörer. Von November bis April zahlt die Sozialbehörde die Kosten für Strom, Abwasser und die Containermiete.

Wenn am 15.April das Winternotprogramm endet, stehen die Frauen wieder auf der Straße. In den vergangenen zwei Jahren hat das Hamburger Spendenparlament zwar die Benutzung der acht Container im Sommer finanziert, sodass die Frauen nicht „Platte machen“ mussten, nicht wieder auf der Straße landeten. Doch in diesem Jahr fehlt der Einrichtung das Geld dafür. Rund 6000Euro koste das Camp im Monat, sagt Andrea Hniopek, Dozentin des Departments Soziale Arbeit an der HAW Hamburg. Sie hat bei dem Containerdorf, das es seit 1993 gibt, schon als Studentin mitgearbeitet und leitet das Projekt seit 2004. „Wir sind auf Spenden angewiesen, aber das ist schwierig“, sagt sie. Die 45-Jährige sitzt im Bürocontainer und trinkt Kaffee mit vier der Bewohnerinnen. Heute hat sie gute Nachrichten. Der Mann, der das Containercamp im Sommer ermöglicht, heißt Reimund Reich. Er will mit seinem Geld helfen und in etwas Bleibendes investieren. „Obdachlose haben keine Lobby“, hat der Spender mal gesagt. Deshalb finanziert er mit 30.000Euro das Sommercamp. Das Projekt auf dem HAW-Campus hat der wohlhabende Hamburger schon oft besucht. „Ich habe einen Spender gefunden, ihr könnt bleiben“, sagt Hniopek. Stefania aus Polen guckt irritiert. Die 78-jährige Obdachlose lebt seit November im Containercamp, sie spricht nur gebrochen Deutsch. Als sie begreift, dass sie am 15.April nicht wieder auf die Straße muss, schießen ihr Tränen in die Augen.

Neben ihr sitzt Susanne, auch ihr ist die Erleichterung anzusehen. „Du kannst Steine plumpsen hören“, so formuliert es die 50-Jährige, die heroinsüchtig war und derzeit die Ersatzdroge Methadon nimmt. Ihre größte Angst ist nicht die Kälte. Sie hat Angst davor, wieder ausgeliefert zu sein, sich nicht schützen zu können. Ihre Stimme überschlägt sich, wenn die blasse Frau über diesen Tag spricht. Der Tag, an dem sie auf der Straße vergewaltigt wurde. Susannes Schicksal ist kein Einzelfall. Für Frauen sei es im Sommer genauso gefährlich, auf der Straße zu schlafen, wie im Winter, da sie auch im Sommer der Gewalt von Männern ausgeliefert seien, so Hniopek. Rund 22Prozent der Obdachlosen in Hamburg sind Frauen. Zehn von ihnen finden nun auch im Sommer Schutz in den Containern. Gunni kennt den Reimund Reich nicht, dankbar ist sie ihm trotzdem. Dankbar für ihren Zufluchtsort, ihren Teil des Containers. Einen Fernseher hat sie nicht. „Am liebsten löse ich Kreuzworträtsel“, sagt Gunni und erwähnt wieder im Nebensatz, dass sie von einer Witwenrente in Höhe von 353 Euro im Monat lebt. Nach dem Tod ihres zweiten Mannes 2010 stürzte sie ab. Alkohol, Arbeitsplatz weg, kein Kontakt mehr zu ihren vier Kindern. Bei ihrer Schwester in Magdeburg schlüpfte sie unter, bis es nicht mehr ging. In Hamburg wagt die Frau aus Woldegk in Mecklenburg-Vorpommern den Neuanfang. Die Öffnungszeiten der unterschiedlichen Obdachlosen-Einrichtungen bestimmen ihren Alltag. „Von 14 bis 17 Uhr gibt es im CaFée mit Herz Essen, dann warte ich, weil ich mit meinem HVV-Ticket ja erst ab 18Uhr wieder fahren darf“, sagt Gunni, die heute nicht mehr trinkt. Sie sucht Arbeit, aber ohne einen festen Wohnsitz sei das schwierig. Mit wohl auch.

„Geht nicht gibt's nicht“, sagt die Frau, die schon viele Jobs gemacht hat. „Ich nehme jede Arbeit an und habe schon Tapeten gerollt, Rinder gehütet, geputzt und in einer Tischlerei ausgeholfen“, sagt sie. Die Frau, die nie etwas gelernt hat und gerne mit anpackt, ist unter den Bewohnern eine der Ordentlicheren.

Das Sommerprojekt im Containerdorf ist unbürokratisch, kostenlos und hat auch deshalb einen großen Zulauf. Ein freier Platz ist innerhalb von wenigen Minuten wieder vergeben.

Für Gunni ist die Wohnungssuche derzeit die größte Herausforderung: „Wenn ich endlich eine eigene finde, mache ich hier Platz.“