Was macht ein U-Bahn-Fahrer? Was denkt der Mann, der den Zug lenkt? Hizir Yildiz fährt seit 31 Jahren für die Hochbahn. Das Abendblatt begleitete ihn auf einer dreistündigen Kreuzfahrt durch Hamburg – und unter Hamburg hindurch

Der Wind pfeift eisig kalt über den Bahnsteig der Station Wandsbek-Gartenstadt. Fröstelnde Menschen warten auf ihre Bahn in die Stadt. Noch sechs Minuten. Verspricht die Anzeigetafel in leuchtend roter Punktschrift.

600.000 Männer, Frauen und Kinder fahren täglich mit der Hamburger U-Bahn. Zur Arbeit, zur Schule, zum Sport, zum Einkaufen, ins Kino. Sie lesen auf der Fahrt Zeitung, hören Musik, schauen aus dem Fenster auf die vorüberrauschende Stadt. Sie checken ihre Mails, quatschen miteinander oder dösen einfach vor sich hin.

Niemand sieht die Person ganz vorn im Zug. Kaum einer der Passagiere denkt wahrscheinlich überhaupt daran, dass da vorne jemand sitzt und alle ans Ziel bringt. Aber manch einer fragt sich vielleicht: Was macht der da vorn? Wer fährt mich eigentlich?

Das Bahnsteigende am Gleis 4 ist unser Treffpunkt. Ein Mann kommt mit leichtem Schritt auf mich zu. Schon aus 30Meter Entfernung denke ich: Das ist er. Hizir Yildiz ist einer von 500U-Bahn-Fahrern bei der Hamburger Hochbahn. Seit 31Jahren. 52Jahre ist er alt. Geboren in der Türkei, aufgewachsen in Neumünster, zu Hause in Hamburg-Bramfeld. Heute fahren wir gemeinsam quer durch die Stadt.

10.50 Uhr: Die U-Bahn der Linie 1 trifft pünktlich in Wandsbek-Gartenstadt ein. Ein kurzer Gruß an den aussteigenden Fahrer, dann führt Hizir Yildiz mich an seinen Arbeitsplatz. „Kommen Sie hier durch“, sagt er, kippt den Fahrersitz etwas nach vorn und zeigt mir den Klappsitz in der engen Kabine. Er steckt den „Zünd“-Schlüssel in die Armatur, legt sein Handy akkurat an eine Kante mit dem Display in Sichtverbindung. Über ein paar Tasten meldet er sich an – so kann die Leitstelle sehen, wer gerade mit welchem Zug wo ist. „Achten Sie darauf. Beobachten Sie ihr Gefühl, wenn wir gleich in den Tunnel fahren“, sagt Yildiz, als wir losfahren. Es sind nur wenige Hundert Meter bis zur Tunneleinfahrt. Und wirklich: Es ist ein seltsames Gefühl. Die ersten Sekunden sieht man nichts, aber auch gar nichts in dieser Unterwelt. Es ist, als führe man gegen eine Wand.

Erst allmählich, nachdem sich die Augen an das spärliche Licht gewöhnt haben, erkennt man Details. Hier ein Abstellgleis im Tunnel, dort lagern Baumaterialien und Maschinen von wahrscheinlich nächtlichen Reparaturarbeiten. Tunnel ist nicht gleich Tunnel. Einmal rauschen glatte Betonwände an uns vorbei, dann wird der Tunnel zur breiten Halle. Manchmal scheint etwas Sonnenlicht durch einen Notausstieg in die Tiefe hinab. Und noch ein paar Hundert Meter weiter wird es plötzlich schlauchartig eng. Die rechte Hand hat Yildiz die ganze Zeit an einem kleinen Hebel. Damit beschleunigt und bremst er den Zug. Auf manchen Streckenabschnitten darf er 80Kilometer pro Stunde fahren – in der Innenstadt mit teilweise engen Kurven im Tunnel ist bei Tempo50 Schluss. Mit dem rechten Fuß tritt er während der ganzen Fahrt den sogenannten Totmannschalter. Nimmt er seinen Fuß von diesem Pedal, stoppt der Zug automatisch.

„Schauen Sie mal: Hier kann man sehen, wie viele Meter der Zug seit dem letzten Bahnhof gefahren ist“, sagt Yildiz und zeigt auf einen Monitor. Zwischen Hauptbahnhof-Süd und Steinstraße sind es nur 490Meter. Das ist der kürzeste Abstand zwischen zwei Stationen auf der Strecke. Unter dem Monitor befinden sich diverse Schalter: Hiermit steuert Yildiz die Ansagen im Zug. Zwischen Hallerstraße und Stephansplatz reicht die Zeit für einen kleinen Kaffee im Zug-Cockpit. Hier gibt es mit 1,5 Kilometern den längsten Abstand zwischen zwei Tunnelbahnhöfen auf der Linie.

Yildiz fährt fast alle Zugtypen auf allen vier U-Bahn-Linien. Welche ihm die liebste ist? "Die U1 ist eigentlich optimal. Da hat man fast anderthalb Stunden seine Ruhe.“ Der Vater von fünf Kindern im Alter von 11 bis 26Jahren ist ein freundlicher, ein witziger Mann. Aber: „Ich kann mich gut auch einmal eine Stunde ohne Unterhaltung allein konzentrieren.“ Immerhin: 55,8Kilometer sind es zwischen den beiden Endhaltestellen. Das ist mehr als die Hälfte der Länge des Hamburger U-Bahn-Netzes. Oder noch beeindruckender: Die U1 ist Deutschlands längste U-Bahn-Linie. Auf dem Monitor zu seiner Linken sieht Yildiz, ob er zu schnell gefahren ist oder Verspätung hat. Dann erscheint ein Hinweis wie „A-Max“ (soll heißen: Gib Gummi!) oder „A-Max 40“, damit er etwas langsamer fährt, um den Fahrplan einzuhalten.

Hizir Yildiz ist U-Bahn-Fahrer aus Überzeugung, auch wenn er sich vor 31 Jahren eigentlich bei der Hochbahn als Busfahrer beworben hatte. Er wollte in die Fußstapfen seines Vaters treten, war aber noch zu jung, um als Busfahrer anzufangen. Doch als Haltestellenwärter (die fertigten früher die Züge ab) könne er anfangen. Dann könne er mit 23 Jahren immer noch die Ausbildung zum Busfahrer machen. Yildiz wurde U-Bahn-Fahrer – und möchte nicht mehr tauschen. „Da oben bei dem Verkehr und mit Fahrkartenverkauf an jeder Haltestelle – nein danke“, sagt er. Nach drei Stunden Fahrt durch Hamburg und unter Hamburg hindurch verabschiede ich mich von ihm. Morgen fährt er wieder auf einer der vier Linien. Und ich? Ich schaue künftig anders auf den einfahrenden Zug. Vielleicht ist es – mein Freund, der U-Bahn-Fahrer.