Hamburg ist Anlaufpunkt für Briefmarkensammler. Vom 24. bis 27. April wird wieder versteigert

Eigentlich wollte er nur den Dachboden aufräumen. Wollte ein wenig Ordnung bringen in das, was sich in Jahrzehnten auf dem Speicher seines Altonaer Hauses angesammelt hatte. Als er auf die große Kiste mit den vielen unsortierten Briefmarken stieß, wurde er neugierig. Selbst Sammler, blieb sein Auge irgendwann an der Germania-Marke aus dem Jahr 1920 hängen. Trotz des Alters nichts Sensationelles, doch das Wasserzeichen schien ihm bei genauerer Untersuchung irgendwie ungewöhnlich. 30.000 Euro – so viel könnte diese kleine Besonderheit wert sein, wenn vom 24. bis 27. April der „Raritätenfund von Altona“ bei Hanseatische Briefmarkenauktionen (HBA) unter den Hammer kommt.

„Es gibt sie tatsächlich noch, diese Art von Dachbodenfunden. Bei 500 Einlieferungen pro Auktion sind sicher 20 dabei“, sagt Thomas Ehrengut, der seit 30 Jahren das Unternehmen HBA zusammen mit seinem Bruder Hubert leitet, und zu dessen Stammkunden auch der glückliche Finder aus Altona gehört. Zweimal pro Jahr finden Auktionen statt, und in den schlichten Büroräumen in Hammerbrook arbeitet sich der 55-Jährige durch Tonnen von Alben, um den aktuellen Katalog zu komplettieren. Keine Übertreibung: Der Nachlass eines passionierten Sammlers kann schon einmal 2000 Bände umfassen. Trotzdem verblüfft es viele, die eigene oder geerbte Briefmarken verkaufen möchten, wie schnell und präzise Thomas Ehrengut den Wert eines Stückes zu schätzen vermag. „Ich bin Philatelist durch und durch, ich kenne einfach vieles“, stellt er fest. „Vor einiger Zeit habe ich einen Nachlass von 800 Alben auf 1,1 Millionen Euro geschätzt. In der Auktion brachte er dann 1,15 Millionen.“

Diese Treffsicherheit ist nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass Ehrengut pro Jahr rund 500 Familien besucht, um vor Ort deren Sammlungen zu sichten. Zurückhaltend, so wie der Besitzer der Germania-Marke auch, das seien viele Sammler. Aber schrullige Eigenbrötler, die mit Lupe über ihren Schätzen hocken? „Ich lerne viele geistreiche Menschen kennen, darunter Politiker, Schauspieler, Notare oder Bankdirektoren“, sagt Thomas Ehrengut, der gerade die menschlichen Kontakte liebt. So sehr, dass er seine 80-Stunden-Wochen, die 80 Flüge und die 130.000 Autobahn-Kilometer pro Jahr einfach weglächelt.

Er erzählt von dem jungen Paar, das beim Renovieren einer alten Mühle auf Briefmarken stieß, die bei Kriegsende in den mit Stroh ausgekleideten Mauern versteckt worden sein mussten. „15.000 Euro brachte der Fund, das Geld konnten die beiden gut gebrauchen.“

„Seltene Marken sind immer noch eine gute Wertanlage. Für eine Wertsteigerung müsste der Markt noch wachsen“, sagt der gelernte Briefmarken-Kaufmann, der seine Ausbildung einst bei Sellschopp, dem mit 122 Jahren ältesten Briefmarkenhaus Hamburgs, absolviert hat. 36.000 Kontakte haben die Brüder Ehrengut in ihrer Kundendatenbank – nur rund 20 davon sind Frauen. Dank Internet kommen immer mehr Interessenten aus dem Ausland. „Viele stammen aus Skandinavien oder Großbritannien, aber auch in China wächst das Interesse. Auch der osteuropäische Markt mit Russland und Polen wird immer wichtiger.“

Die größte Sammlernation bleibe jedoch eindeutig Deutschland. „Ich glaube, diese Leidenschaft ist aus dem Fernweh heraus entstanden“, sagt der 55-Jährige. Und da gerade die Handels- und Hafenstadt Hamburg Kontakte in die ganze Welt pflegte, mag sich hier ein renommierter Handelsplatz für Briefmarken entwickelt haben. Bereits seit 1929 existiert so auch das Auktionshaus Edgar Mohrmann, dessen Namensgeber seinen Teil dazu beitrug, dass der Begriff „Aktie des kleinen Mannes“ geprägt wurde. „Heute verkaufen hier Familien ihre Briefmarken, deren Großväter diese vielleicht in den 50er-Jahren ebenfalls bei uns erworben haben“, sagt der heutige Inhaber Hans-Peter Bahr. Einmal im Jahr lädt das Haus zur Auktion ein, um den Kunden aus aller Welt große Sammlungen präsentieren zu können, nicht selten Objekte, die für sechsstellige Summen einen neuen Besitzer finden. Seit knapp 15 Jahren widmet sich auch die Firma Mohrmann zusätzlich dem Verkauf von Münzen. „Durch den angestiegenen Edelmetallpreis sind Münzen in diesen Zeiten eine willkommene Kapitalanlage.“ Briefmarken hingegen seien „nichts für Anfänger“, sagt er. „Man muss wirklich sehr genau Bescheid wissen, um für die Zukunft eine Wertsteigerung zu generieren.“ Mit Bedauern sieht auch er, dass der Philatelie der Nachwuchs fehlt. Vereine für Briefmarkensammler gibt es nicht wenige, auch in der Hansestadt, doch die Mitglieder kommen in die Jahre. „Die Zeit wird heute einfach anders ausgefüllt, das klassische Hobby gibt es kaum noch“, sagt Bahr. „Dabei ist es doch Geschichte pur, die die Briefmarken repräsentieren.“