Jeder siebte Hamburger arbeitet zur Schlafenszeit. Beschäftigte erhalten oft mehr Geld und Urlaub

Jan Teschke steht im Kanal. So nennen die Arbeiter im S-Bahn-Werk Ohlsdorf den Gang, in dem sie aufrecht unter den Zügen gehen können. In der linken Hand hält er eine Taschenlampe und leuchtet auf die Räder der S-Bahn. Mit der rechten Hand schwingt er den Hammer gegen das Metall. Der 41-Jährige sucht Risse im Drehgestell, Schäden an Stoßdämpfern und lose Schrauben. "Wenn etwas nicht in Ordnung ist, höre ich das am Klang", sagt der Industriemechaniker. "Jetzt kann ich mich viel besser konzentrieren. Es ist in der Halle ruhiger", sagt Teschke. "Jetzt" ist 22.15 Uhr. Während viele Menschen auf dem Weg ins Bett sind, hat Teschke noch fast acht Stunden Nachtschicht vor sich. "Ich arbeite immer in der Nacht, bin so 'ne Art Fledermaus", sagt er und lacht.

Immer mehr Beschäftigte sind nachts aktiv. Im Jahr 2006 arbeiteten 115.000 Hamburger nachts, fünf Jahre später waren es laut Mikrozensus schon 132.000. In Deutschland sind es 5,142 Millionen Menschen, die zur besten Ruhezeit ihren Job machen.

"Nachtarbeit ist wichtig, damit Kapital und Maschinen gut genutzt werden", sagt Professor Michael Bräuninger, Konjunkturchef am Hamburgischen WeltWirtschaftsInstitut (HWWI). Besonders teure Geräte müssen nachts laufen, um hohe Anschaffungskosten wieder einzubringen. "Dank flexibler Arbeitszeiten können Produktionsspitzen abgebaut werden", sagt Bräuninger: "In vielen Bereichen ist Nachtarbeit ohnehin notwendig." Er nennt als Beispiele das Bäckereigewerbe, die Hotellerie, die Pflegebranche - und den Logistik- und Transportsektor.

"Unsere Hauptarbeitszeit ist die Nacht, da die Züge dann nicht im Einsatz sind", sagt Klaus Urban, Chef des S-Bahn-Werks. Morgens von sechs bis neun Uhr und nachmittags von 14.30 Uhr bis 19 Uhr müssen die 164 Züge auf den Gleisen rollen, um im Berufsverkehr den größten Teil der 259 Millionen S-Bahn-Kunden im Jahr zu transportieren. Nachts erfolgen dann die Checks in der Werkstatt. Alle 12.000 Kilometer werden bei der Nachschau zum Beispiel Räder, Achsen und Türen begutachtet, Spitzen- und Schlusslichter kontrolliert und Bremsscheiben nachgemessen. Einmal im Jahr - je nach Zugtyp zwischen 100.000 und 250.000 Kilometer Laufleistung - gibt es eine große Inspektion. Und alle sechs bis acht Jahre die Revision. Dabei werden die Drehgestelle komplett entfernt, Schläuche erneuert sowie Komponenten wie Radsätze und Kupplungen aufgearbeitet. Der Zeitplan ist eng. Urban: "Im Schnitt haben wir 13 bis 15 Tage für die Generalüberholung eines Fahrzeuges."

Viel Arbeit für seine Belegschaft, die 150 Mitarbeiter umfasst und die er im vergangenen Jahr um 50 Personen aufstockte. "Auch in diesem Jahr möchten wir noch 20 bis 25 Stellen besetzen", sagt Urban. Um die Aufträge bewältigen zu können, hat er schon jetzt die Nachtschichten um ein bis zwei Personen aufgestockt. Zwischen 17 und 27 Personen sind in der Nacht am Zug. Eine von ihnen ist Johanna Winterot. Die Energieelektronikerin überprüft in den Wagen Videosystem, Beleuchtung, Türen und tauscht defekte Sitze aus. Seit einem Jahr arbeitet sie in der Dauernachtschicht. "Wir haben mehr Urlaub und verdienen mehr", sagt die 35-Jährige. Die Zuschläge beim Lohn liegen bei rund 20 Prozent. Von Sonntagabend bis Donnerstagfrüh sind sie und ihre Kollegen vier Nächte am Stück knapp zehn Stunden im Einsatz, dann haben sie drei Tage frei.

Besonders Einschlafprobleme seien für Beschäftigte mit wechselnden Arbeitszeiten typisch, sagt Professor Dr. Volker Harth. "Insbesondere Nachtschichtarbeiter, leiden oft unter Schlafstörungen, die zu Übermüdung, Appetitlosigkeit und Magenbeschwerden führen", sagt der Direktor des Zentralinstituts für Arbeitsmedizin und maritime Medizin am Universitätsklinikum Eppendorf. Die Weltgesundheitsorganisation WHO stufte 2007 die Schichtarbeit sogar als "wahrscheinlich krebserregend beim Menschen" ein. Die vermutete Ursache: Das Hormon Melatonin wird im Gehirn ausgestoßen und kann die Entstehung von Tumoren unterdrücken. Morgens um 2 Uhr ist die Ausschüttung am höchsten. Harth: "Wenn sie dann unter einer Lampe stehen, wird dieser Ausstoß unterdrückt." Der Melatoninspiegel sinkt, das Risiko, an Krebs zu erkranken, steigt.

Um die Risiken für die Gesundheit zu senken, rät Harth, den Dienstplan weit im Voraus zu planen und Termine wie Familienfeiern zu berücksichtigen. Als ideal gelte ein Schichtsystem mit der Abfolge drei Tage Früh-, drei Tage Spät- und drei Tage Nachtschicht, zwischendurch natürlich mit freien Tagen. Schichtarbeiter sollten nachts nur leichte, kleine Mahlzeiten zu sich nehmen, für Ruhe beim Schlafen sorgen, soziale Kontakte aufrechterhalten, gesund leben und Sport machen.

"Fledermaus" Teschke will seiner Dauernachtschicht treu bleiben. "Für mich ist das optimal", sagt er. Nach vier Nächten am Stück mit Arbeit hat er drei ganze Tage frei und fährt in seine Heimat nach Mecklenburg. Dort gehört seinem sechs Jahre alten Sohn Moritz die Zeit - am Tag und bei Bedarf auch in der Nacht.