Mitten in Eimsbüttel wird ein Schutzbau abgerissen. 1110 Lkw-Ladungen Schutt fallen an

Hier muss es gewesen sein: Christian Strauch hockt sich hoch oben auf dem Bunker in Eimsbüttel auf den Bauschutt und pult einen paar Brocken frei. Dunkelgrau rieselt Zementstaub aus seinen Händen. Die gut 1,10 Meter dicke Betonwand ist bereits zum Teil aufgerissen, wie ein Bündel wirrer Haare ragen etliche Eisenstangen heraus. Genau an dieser Ecke hatte der 20 Meter hohe Betonwürfel im Krieg einen Treffer bekommen. Ältere Anwohner haben es dem Abbruchunternehmer erzählt. Die Fliegerbombe war aus großer Höhe auf die Ecke gekracht - doch der Stahlbeton hat gehalten. Die Bombe war dann zu Boden gefallen und dort detoniert. Mit solcher Wucht, dass im benachbarten Tiefbunker regelrecht die Luft weggesaugt wurde und 120 Menschen starben.

Rund 70 Jahre später erinnert an der Henriettenstraße kaum noch etwas an diese Tragödie, hübsche Gründerzeitfassaden säumen die Straßen, manche Nachkriegsbauten stehen dazwischen. Und der graue Hochbunker. Nirgendwo in Hamburg gab es so viele davon wie in Eimsbüttel. Fünf der 15 dort sollen nun in nächster Zeit aus dem Stadtbild verschwinden, um wie an der Henriettenstraße Platz für neue Wohnhäuser zu bekommen. Ähnliche Pläne gibt es auch in anderen Bezirken. Innenstadtquartiere sind heute gefragt in der wachsenden Stadt, da lohnt sich auch ein komplizierter Abriss, der gut 600.000 Euro kosten kann. Die Hamburger Abbruchfirma Ehlert & Söhne hat sich darauf spezialisiert. Der 46-jährige Strauch ist dort Bauleiter und Geschäftsführer, Unternehmer in der 4. Generation. Ein Bunkerabriss, das weiß er, bedeutet meist wochenlang Staub, Dreck und vor allem Lärm.

Mit Hydraulik und Pressluft hämmern gewaltige Meißel dabei Löcher in den festen Beton. An der Henriettenstraße wird zum ersten Mal in Hamburg ein anderes Verfahren eingesetzt, um einen solchen Abriss für Anwohner erträglicher zu machen. Der Bunker wird quasi gesprengt. Oder präziser: Mit etlichen kleinen Detonationen werden die Wände und Decken mürbe gemacht, um ihn dann mit schwerem Gerät wie einen brüchigen Kuchen Stück für Stück abtragen zu können.

Wie das funktioniert zeigt Abbruch-Unternehmer Strauch auf dem obersten Stockwerk. Die 1,40 Meter starke Dachplatte liegt bereits zertrümmert auf der darunter liegenden Decke. Darüber schiebt sich hier oben in etwa 18 Meter Höhe ein Bagger, der mit dem Telekran heraufgehievt worden war. Statt Schaufel hat er eine acht Tonnen schwere, gewaltige Schere am Greifarm. Immer wieder greift das wie ein gewaltiges Maul aussehende Gerät in die Betonwände, zerquetscht und zerbröselt Gestein und Stahl.

Am Rand haben die Abbruchspezialisten einen Schacht quer durch die acht Stockwerke angelegt, Oben wirft der Bagger den Schutt hinein, unter wird er mit Lkw abtransportiert. 20.000 Kubikmeter Betonschutt werden es am Ende sein, schätzt Strauch. Etwa 1110 Lkw-Ladungen, die wiederverwertet werden. Hier oben hatten die Arbeiter zuvor die Decke in mehrere Felder eingeteilt, Sprenglöcher hineingetrieben und dann abschnittsweise gesprengt. So berechnet, dass der Druck nach innen geht, nicht nach außen, erklärt Strauch. Feld für Feld der Decke wurde innerlich erschüttert und dann abgetragen. Immer mit zwei Sprengungen pro Tag: 11.30 Uhr und 16.30 Uhr. Abschnitt für Abschnitt, Stockwerk für Stockwerk immer das gleiche Prinzip: Die Sprengungen lockern, der Bagger zerkleinert, durch den Schacht kommt der Schutt heraus. "Wir arbeiten uns von oben nach unten", sagt Strauch. Die Erschütterungen werden dabei minimal sein, verspricht Strauch. In Nachbargebäuden hat das Unternehmen Messgeräte aufgestellt, die die Schwingungen messen, wenn es am Bunker knallt. Zwei bis drei Millimeter wurden dabei bisher festgestellt. Der Grenzwert für denkmalgeschützte Bauten liegt bei fünf Millimeter.

Am 10. Oktober 1940 war der Bunker in Auftrag gegeben worden, im August 1942 wurde er erst fertig. Etliche Tage lagen die Arbeiten still, weil es kein Eisen gab. Doch trotz solcher kriegsbedingten Ausfälle ist die Qualität groß, sagt Strauch. Das war wohl auch der Grund, warum er in den 1970er-Jahren wieder reaktiviert wurde als Zivilschutzanlage im Kalten Krieg. Für 1225 Menschen. Wie die im Atomkrieg hier ausharren sollten, lässt sich heute nur noch mit der Taschenlampe erkunden: Grünliche Neonfarbe markiert die Nutzungen, "Herren" ist über einem Raum zu lesen, wo noch einige Toilettenbecken stehen. Dicke Stahltüren hängen in den Scharnieren, in einem Raum ist ein Gerät aufgebaut, mit dem per Kurbel Luft zugeführt werden konnte. Dumpf dröhnt es immer wieder von oben, wo der Bagger arbeitet. Ob es sich so auch im Krieg anhörte hier drin, wenn in der Nachbarschaft eine Bombe detoniert war? Ende Mai sollen die Abbrucharbeiten fertig sein - dann ist der Bunker als Zeuge dieser Zeit verschwunden.