Im Damenchor des Seniorenheims St. Nicolai/St. Johannis sind alle Mitglieder um die 90 Jahre alt

Gertrud Bünemann hat die Noten alle im Kopf. Auch die Liedertexte sitzen. Geschwind fliegen ihre Finger über die Tasten des Klaviers. Und für einen Moment verlieren die Jahre ihre Bedeutung. Allein die Musik zählt. So wie damals, als Frau Bünemann, die Musikpädagogin, noch im Amt war und versuchte, Schülern der Helene-Lange-Schule den richtigen Ton beizubringen. 30 Jahre ist das her. Und nie hätte die heute 92-Jährige gedacht, dass sie auch in diesem Alter noch den Takt angeben darf.

Dass dies überhaupt möglich ist, ist das Verdienst von Christine Korfant. Sie ist Physiotherapeutin und regelmäßig im Seniorenheim St. Nicolai/St. Johannis am Mittelweg in Harvestehude unterwegs. Sie kommt seit mehr als 18 Jahren, um den Senioren Linderung zu verschaffen, ihre müden Glieder in Bewegung zu bringen und sie bestenfalls wieder auf die Beine zu stellen. Die Idee mit dem Chor entstand mehr durch Zufall. "Ich hatte eine Patientin mit großen Sprachschwierigkeiten und Luftnot in Behandlung", sagt die 58-Jährige. "Ich habe mit ihr gesungen, und dabei ist mir aufgefallen, dass die Dame beim Singen richtig atmete. Singen ist Arbeit am ganzen Körper, es geht um Konzentration, die Stimme muss gehalten werden. Das gemeinsame Musizieren ist ein Stück Therapie."

Aus diesem Ansatz heraus hat sich ein Chor mit zwölf Mitgliedern entwickelt. "Ich habe gedacht, dass ich in meinem Alter keinen Ton mehr herausbringe", sagt Renate Klinkott, 90. "Es ist für uns alle eine tolle Bestätigung, dass wir noch etwas können." Ähnlich ist es bei Lieselotte Leitholt, 88, für die das vergangene Jahr nicht ganz einfach war: "Mein Mann ist gestorben, ich bin krank geworden und lebe seit einem halben Jahr im Altenheim. Das gemeinsame Singen ist eine freudige Angelegenheit."

Jeden zweiten und vierten Dienstag im Monat treffen sich die Damen um 16.45 Uhr im Elisabethraum des Altenheims. Sie kommen mit dem Gehwagen, im Rollstuhl, allein, zu zweit. Jeder bringt seine Mappe mit den Liedertexten mit, auch wenn alle Teilnehmerinnen die Texte auswendig singen. Meist sind es Stücke, die sie aus ihrer Kindheit und Jugend kennen, die sie später mit den eigenen Kindern und Enkeln gesungen haben. Und jetzt wieder, erst für sich, dann zweimal im Jahr auch für die Öffentlichkeit.

Bis die Stücke auch tatsächlich bühnenreif sind, steckt Christine Korfant eine Menge Arbeit und ehrenamtliches Engagement in die Truppe. Sie tut das, weil sie "die alten Menschen liebt", wie sie sagt. Und ihnen etwas Gutes tun möchte. "Viele von ihnen sind einsam, haben wenig Kontakt. Der Chor bietet eine tolle Möglichkeit, neue Menschen kennenzulernen und über eine gemeinsame Sache zueinander zu finden", sagt Christine Korfant. Darüber hinaus soll das Angebot auch diejenigen ansprechen, die nicht - oder noch nicht - im Heim zu Hause sind.

Margarete Mielke ist eine von denen, die nur zum Singen in den Mittelweg 106 kommt. Sie ist 81 Jahre alt und an Demenz erkrankt. Noch lebt sie allein. Doch irgendwann wird sie ins Heim gehen. Damit der Übergang dann leichter fällt, fährt ihre Tochter sie regelmäßig zum Chor. Sie ist schon jetzt eine tragende Stimme in der Gemeinschaft. Christine Korfant hofft, dass künftig noch mehr hochbetagte Menschen aus der Umgebung den Weg zur Chorprobe finden. Und auf diese Weise ganz spielerisch etwas für ihre geistige Fitness tun.

Interessenten für den Damenchor können sich

unter Telefon 41 44 90 informieren.