Seit 2011 gibt es den Bundesfreiwilligendienst. Der ist gerade auf ältere Menschen angewiesen

Auf einmal weint die Frau. Ihre Lippen zittern, Tränen sammeln sich in ihren Augen. Ute Witte kommt zu ihr an den großen Tisch, legt eine Hand auf die Schulter der Frau, mit der anderen streicht sie über ihre Wange. "Nicht weinen", sagt Witte, "Kommen Sie, wir spielen was!" Witte setzt sich an den Kopf des Tisches, zehn Frauen im Raum hören ihr jetzt zu. Zumindest sollen sie es. Eine aber nickt ein, eine andere lächelt ins Nichts. Einige sitzen im Rollstuhl, können nur noch mit Mühe Kopf und Arme bewegen, andere trinken Tee.

Es ist ein Freitagvormittag im Wohnbereich 4 des Seniorenzentrums St. Markus in Eimsbüttel. Hier leben Menschen, die an Demenz erkrankt sind. Und deshalb macht Ute Witte heute mit ihnen eine Gedächtnisübung.

Ute Witte ist 71 Jahre alt. 30 Stunden in der Woche betreut sie im Seniorenzentrum demenzkranke Menschen. Sie hilft, weil sie es möchte. Und sie bekommt vom Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben dafür ein "Taschengeld", 350 Euro im Monat. Ute Witte ist eine Bufdi. Sie arbeitet beim Bundesfreiwilligendienst. Im Januar listete das Bundesamt fast 40.000 Bufdis in ganz Deutschland, 898 waren es in Hamburg.

Der Zivildienst ist mit dem Ende der Wehrpflicht verschwunden. Eine Säule der sozialen Versorgung ist weggebrochen. Doch immer mehr Menschen benötigen Pflege und Betreuung. Rund 1,3 Millionen Menschen leiden derzeit unter Demenz, im Jahr 2050 werden es voraussichtlich 2,6 Millionen sein. Auch insgesamt steigt die Zahl der Pflegebedürftigen laut Gesundheitsministerium von 2,29 Millionen in 2010 auf 4,5 Millionen Menschen in 2050. Und junges Pflegepersonal wächst nicht mehr nach. Die Alten werden sich zunehmend selbst pflegen müssen.

Bis 2030 wird Deutschland weiter schrumpfen. Doch die Zahl der Menschen zwischen 60 und 75 Jahre wächst. Bald ist fast jeder Vierte in Deutschland in diesem Alter. Es wird vor allem auf Menschen wie Ute Witte ankommen, dass das Sozialsystem dieser Gesellschaft nicht auseinander bricht.

Vor 15 Jahren starb Wittes Mann. "Das hat mich runtergerissen." Sie begann eine Therapie, kam langsam wieder auf die Beine. Witte arbeitete schon damals in der Altenpflege, war selbstständig. "Ich habe sogar Heidi Kabel in ihren letzten Jahren betreut." Irgendwann kam dann die Rente. Und Ute Witte fühlte sich wieder allein. Damals sah sie eine Dokumentation im Fernsehen über eine Rentnerin, die jetzt Bufdi ist. Kurz darauf stand Witte im Eingang des Seniorenzentrums St. Markus, machte einen Termin mit dessen Leiter.

Es war im Sommer 2011, als die letzten Zivis ihren Dienst absolvierten und die neuen Bufdis kommen sollten. Wohlfahrtsverbände warnten von Engpässen in der Pflege. Die Einrichtungen waren konfrontiert mit einem neuen Typ des Mitarbeiters - kaum jemand wusste etwas über seine Rechte und Pflichten.

Katrin Sambarth von der Diakonie in Hamburg fordert, dass die Regierung beim Bundesgesetz für die Freiwilligen auch noch einmal bestimmte Begriffe überprüfe. Einem 60-Jährigen ein "Taschengeld" zuzuweisen oder einen "Seminartag" anzubieten, stoße auf Ablehnung. Anders als beim Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ), das die Bundesländer selbst koordinieren, fehlten beim BFD "noch klare Qualitätsstandards für die pädagogische Begleitung des Dienstes", sagt Friederike Reif vom Arbeiter-Samariter-Bund (ASB). Da vom Bundesamt keine Vorgaben kamen, hat die Diakonie eigene Lernstandards und Ziele formuliert. Die sozialen Verbände müssen stärker als früher auch Dienstleister für ihre neuen Helfer sein.

Und es gelingt ihnen. Denn die Bewerberzahlen sind hoch. "Und wir haben noch Plätze frei", sagt Sambarth von der Diakonie. Allein 20 bei den Stellen für Menschen über 27 Jahre. Doch der Bund finanziert derzeit mit 254 Millionen Euro bundesweit 35.000 Plätze. Mehr nicht. Im Juli 2012 schickte der Hamburger Staatsrat Jan Pörksen einen Brief an das Familienministerium in Berlin. Um die "Motivation engagierter Bürger nicht zu enttäuschen und die Bedarfe der Einrichtungen zu decken", bat Pörksen im Namen des Senats, das Fördergeld des Bundes zu erhöhen. Das Ministerium antwortete, dass etwa 100 Millionen Euro und ab 2013 rund 200 Millionen Euro nötig wären, um allen Bewerbern Plätze zu finanzieren. Doch die Haushaltspolitiker geben keine Mittel mehr frei.

Diakonie und ASB setzen auf ältere Menschen als freiwillige Helfer. Nur mit ihrer Erfahrung lasse sich dauerhaft das Angebot an Diensten aufrechterhalten, sagt Reif vom ASB. Ute Witte sagt: "Es ist vor allem der Austausch mit den jungen Menschen auf der Arbeit, der mich begeistert." Sogar zum Sport hätten die jungen Kollegen sie überredet. Zweimal in der Woche geht Witte jetzt zum Fitness bei "Mrs. Sporty". Wenn Ute Wittes Dienst als Bufdi im August endet, bekommt sie vom Seniorenzentrum eine Stelle als Aushilfe, für 450 Euro im Monat.