Anwohner am Wibbeltweg: Stadt setzt sich über Auflagen für geschenktes Grundstück hinweg

Merle ist acht Jahre alt. Seit sich die kleine Wellingsbüttlerin erinnern kann, sammelt sie Walnüsse auf der Wiese am Wibbeltweg. "Es gibt Menschen, die schon lange nicht mehr in der Gegend wohnen und extra zurückkommen, um hier Nüsse zu sammeln", erzählt Phil Großmann.

Acht Walnussbäume gibt es auf der Wiese, eine alte Eiche und mehrere große Haselnusssträucher. "Das ist ein richtiger Treffpunkt für die Anwohner", sagt Ewald Czerny - selbst jetzt, auch wenn die Bäume dann nur knorrig wirken. "Ein solches Ensemble gibt es in Hamburg nicht ein zweites Mal", sagt Phils Vater Tim Großmann. Trotzdem sollen die Bäume gefällt werden. Die beliebte Wiese soll einem Mehrfamilienhaus samt Tiefgarage weichen. Dass sich das nicht in die Architektur des Stadtteils einpasst, ärgert die Anwohner. Dass die Stadt das Grundstück niemals für den Wohnungsbau hätte verkaufen dürfen, macht sie sprachlos.

Die Wiese hat eine Vorgeschichte. Der Teil von Wellingsbüttel, in dem der Wibbeltweg liegt, war lange allein durch die Bebauung vor dem Zweiten Weltkrieg geprägt. Doch nach und nach wurden die alten Häuser abgerissen und neue gebaut. Der Bauunternehmer Gustav-Heinrich Steinhage, der mit seiner Frau am Pfeilshofer Weg wohnte, beobachtete die Entwicklung mit Sorge. Schließlich - so berichten es Zeitzeugen glaubhaft - schenkte er der Stadt eines seiner Grundstücke: die Wiese an der Grenze vom Wibbeltweg zur Speckmannstraße. Das sollte dafür sorgen, dass das Viertel nicht noch mehr verbaut wird. Kurz vor seinem Tod im Jahr 1986 erzählte er seiner Ärztin von der Schenkung und bat sie, auf seine Wiese und die Wallnussbäume achtzugeben.

In der zuständigen Finanzbehörde ist von einer solchen Schenkung mit Auflagen nichts bekannt. Offiziell heißt es: "Ein schuldrechtlich verpflichtender Schenkungsvertrag für diese besagte Fläche liegt der Stadt nicht vor." Phil Großmann jedoch hat eigene Nachforschungen angestellt und von einer Beamtin der Finanzbehörde inoffiziell zumindest die Aussage bekommen, dass die Walnusswiese der Stadt kostenfrei überlassen worden ist. Dass es Auflagen gegeben habe, kann Großmann aber auch durch weitere Recherchen nicht beweisen. Doch selbst wenn Großmann Belege gefunden hätte: Da die Steinhages keine Erben hatten, die das Recht ihres Vaters hätten einklagen können, wäre die Frage der Auflagen letztlich rechtlich irrelevant geblieben. Aber zumindest moralisch müsste sich die Stadt dann anders rechtfertigen.

So bleibt den Anwohnern nur die Hoffnung, dass ihre Beschwerde gegen die Baugenehmigung Erfolg hat. Seit sie im Sommer von den Plänen erfahren haben, dass die Wiese überbaut werden soll, kämpfen die Wellingsbütteler dagegen. Die Anwohner haben Widerspruch gegen die Bauerlaubnis beim Bezirksamt eingereicht, haben eine Petition bei der Bürgerschaft angestrebt und verfolgen inzwischen in zweiter Instanz ein Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht Hamburg. In dem Verfahren geht es darum, dass sich das neue Gebäudeensemble nicht in die Struktur der Straße einpasst. Umgeben von Einfamilienhäusern - meist aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg - würden zwei moderne Mehrfamilienhäuser hervorstechen. Die neuen Häuser sollen mit zwei Etagen plus Staffelgeschoss zudem eine ganze Etage höher werden als die Gebäude auf derselben Straßenseite. In erster Instanz waren die Anwohner mit ihrer Beschwerde unterlegen. Unter anderem mit der Begründung, dass heutige Geschosse nicht mehr so hoch seien wie in den Jahren, in denen die anderen Häuserensembles entstanden sind. Die Gesamthöhe wäre damit nicht größer als die bisherige Bebauung. Dass es einen noch nicht verabschiedeten Bebauungsplanentwurf gibt, der eine strukturuntypische Bebauung an der Stelle nicht erlauben würde, spielt ebenfalls eine Rolle.

Mehr als 130 Unterschriften hat Phil Großmann gegen das Vorhaben gesammelt, Spenden eingeworben, damit sich die Anwohner einen Anwalt nehmen können. Stunden um Stunden haben er und seine Mitstreiter für den Erhalt der Wiese gekämpft. "Manchmal fühlt man sich ohnmächtig", sagt er.