Vor allem Abfälle locken die Tiere an. Kammerjäger sprechen von einem außergewöhnlichen Anstieg

Grau-braunes Fell, kleine Ohren, schuppiger Schwanz: Rattus norvegicus, die gemeine Wanderratte, erobert Hamburg. Immer öfter werden die hervorragenden Schwimmer dabei beobachtet, wie sie Kanäle durchqueren oder sich als anspruchslose Allesfresser an den Mülltonnen der Großstadt bedienen. Am Isebekkanal in Eimsbüttel plünderten einzelne Tiere zuletzt sogar die Köderkisten von Anglern oder ernährten sich vom Abfall, der insbesondere im Bereich der Hoheluftchaussee die Böschungen säumt. Die Ufer sind inzwischen mit knallroten Zetteln nebst Fahndungsfotos plakatiert: Vorsicht Rattengift!

Tatsächlich belegen aktuelle Zahlen des Hamburger Instituts für Hygiene und Umwelt einen Anstieg der Population. Experten wollen zwar noch nicht von einer Plage reden, Aileen Röpcke, Sprecherin des Bezirksamtes Eimsbüttel, sagt etwa: "Ratten sind in Wasserlagen nicht unüblich. Es gibt keine außergewöhnlich große Beschwerdelage." Aber im Vergleich zum Vorjahr haben sich die Meldungen über Ratten in der ganzen Stadt fast verdoppelt. Zählte die Gesundheitsbehörde im Jahr 2011 noch 1095 Beschwerden, waren es im vergangenen Jahr 1976.

Weil die Tiere ein überaus schlechtes Sozialprestige genießen, mussten Kammerjäger entsprechend häufig aktiv werden. 1230 Einsätze fuhren die Schädlingsbekämpfer 2012 im Auftrag der Stadt, 440 mehr als im Jahr zuvor. Noch nicht eingerechnet sind dabei die Kammerjäger, die auf privatem Grund tätig werden mussten. Die Schädlingsbekämpfer der Stadt schätzen, dass 25 Ratten auf einen Hamburger kommen. Für Heinz Peper, Biologe beim Naturschutzbund Hamburg, sind gestiegenen Rattenmeldungen aber nicht beunruhigend. "Es lässt sich nur ableiten, dass mehr Tiere gesehen wurden und die Fangaktivität höher war als im Vorjahr", sagt er. In Großstädten gehörten Ratten zur Normalität. "Hier finden sie immer etwas zu fressen." Achtlos weggeworfenes Fastfood oder unverschlossene Mülltonnen von Supermärkten seien verlockende Einladungen.

Peper führt mehr Rattenmeldungen auf zunehmende Vermüllung und positive klimatische Bedingungen zurück. Ratten, insbesondere die auch Kanalratte genannte Wanderratte, seien äußerst anpassungs- und lernfähig.

Ursprünglich bevorzugten Wanderratten buschreiches Gelände außerhalb menschlicher Siedlungen. Aber in Hamburg bewohnen die Nager inzwischen nahezu alle Bereiche: Abwasserkanäle, Mülldeponien, Keller, Lagerhäuser, Ställe und sehr oft Gewässerränder mit dichter Vegetation. "Am Alsterlauf etwa findet man große Populationen", sagt Peper. Das deckt sich mit den Meldungen im Hygiene-Institut. Die vom Fluss geprägten Bezirke Wandsbek und Hamburg-Nord weisen mit 344 und 233 Beschwerden die meisten Rattenmeldungen in Hamburg auf. Aber auch in Harburg, Mitte, Eimsbüttel, Altona und Bergedorf sind die Zahlen gestiegen.

Für Erik Pust, Büroleiter von Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD), kein Grund zur Besorgnis: "Die Größe von städtischen Rattenpopulationen unterliegt immer Schwankungen." Das Wetter, das natürliche Nahrungsangebot, aber auch das Reinlichkeits- oder Meldeverhalten der Hamburger seien ausschlaggebend für die aktuellen Zahlen.

Demnach war 2012 ein klimatisch sehr günstiges Jahr oder eines, in dem Hamburger zur Nachlässigkeit bei der ordnungsgemäßen Müllentsorgung neigten. Unbedenklich ist das nicht: Ratten zählen zu unvermindert gefährlichen Krankheitsüberträgern. Von ihnen angefressene Lebensmittel sind oft keimbelastet, unter anderem werden Salmonellen übertragen. Zudem gelten europäische Wanderratten vor allem als Träger und Ausscheider von Leptospiren, den Erregern der Infektionskrankheit Leptospirose. Abgesehen davon haben sich die Tiere als Wirte vieler Floharten einen Namen gemacht.

Dennoch meint Biologe Heinz Peper, der Bestand von Ratten reguliere sich auch ohne das Eingreifen von Kammerjägern. Es gebe Studien, die belegen, dass die Tiere bei einer Überpopulation keine Jungen mehr bekommen, weil das Futterangebot knapp werde. Umgekehrt sei ein von einem Kammerjäger dezimierter Clan ohne Weiteres in der Lage, schnell wieder Nachwuchs zu produzieren. "Die meisten Ratten sieht man ja auch nicht, weil sie im Untergrund, etwa in der Kanalisation, leben."

Nichtsdestotrotz, auf diese Feststellung legt die Gesundheitsbehörde Wert, sind Ratten auf öffentlichem und privatem Grund laut Hamburger Ratten-Verordnung von 1963 meldepflichtig. Meldungen seien möglichst unverzüglich unter der Telefonnummer 428 45 79 72 zu machen.