Hausbesuch bei der Geigerin Baiba Skride: “Von der Stradivari habe ich sehr viel gelernt“

Es wirkt wie das allernormalste Familienleben, was die Besucherin an diesem Wintermorgen in Schnelsen erlebt: Eine junge Frau öffnet die Tür der gelbgetünchten Doppelhaushälfte. Auf der Hüfte trägt sie ein Baby, ihre dunklen Haare hat sie lose im Nacken zusammengebunden, sodass die fast kindlich gewölbte Stirn freiliegt. Der Vater kommt die Treppe herunter und nimmt ihr das Kind ab. Als sie ins Wohnzimmer vorausgeht, fällt der Blick als erstes auf die nagelneue Schaukel im Garten, auf dem Fußboden liegt Kinderspielzeug. Nichts deutet darauf hin, dass diese Szene eher die Ausnahme als die Regel ist - außer den Instrumentenkästen am Fenster und dem ausgeprägten Geigerfleck am Hals der Frau. Baiba Skride ist die Verdienerin in der Familie, sie ist von Beruf Geigerin.

Die 31-Jährige ist ein Weltstar. Sie kommt gerade aus Malmö und wird am nächsten Tag nach Helsinki aufbrechen, das ist ihr Arbeitsrhythmus. Von Glamour und Jetset indessen keine Spur. Wenn Skride ihr Gegenüber aus ihren graugrünen Augen ansieht, strahlt sie eine Ruhe aus, als gäbe es nichts Wichtigeres auf der Welt als dieses Gespräch.

Außer den unmittelbaren Nachbarn weiß kaum jemand in der Gegend von Skrides außergewöhnlichem Beruf. Und sie ihrerseits fühlt sich spürbar wohl in der unprätentiös-bürgerlichen Umgebung. "Hier wohnen Leute aus vielen verschiedenen Ländern", erzählt sie, "es ist eine sehr nette Stimmung." Schließlich kommt sie selbst aus dem kleinen Lettland. "Es gibt so wenige von uns, dass man immer froh ist, wenn man mal einen trifft", sagt sie mit ihrem leicht baltischen, gutturalen Tonfall.

Skride ist in Riga in einer Musikerfamilie aufgewachsen. Eine ihrer Schwestern ist Bratscherin geworden, mit der anderen, der Pianistin Lauma Skride, konzertiert Baiba auf der ganzen Welt. Von Klein auf traten die drei zusammen auf; damit konnte die Familie im Lettland der frühen 90er-Jahre manches Zubrot verdienen. "Es waren schwierige Zeiten", erinnert sich Skride. "Das Alte war zusammengebrochen, und es gab noch keine neue Ordnung." In der Familienwohnung, nach westdeutschen Vorstellungen muss sie klein gewesen sein, lebten noch die Großmutter und eine Kollegin der Mutter.

Dieses enge Zusammenleben hat Skride geprägt. Die Großmutter war es, die den Mädchen das Singen nahe brachte und damit lettisches Kulturgut schlechthin. Skride strahlt, wenn sie von den Chorfesten erzählt, die sich im Sommer über Riga verteilen. Ihre ganze Liebe zur Musik leuchtet dann auf ihrem Gesicht. Es spricht aus jedem ihrer Sätze, dass es nicht ihre Person ist, um die es ihr beim Geigen geht: "Ich bin doch nur diejenige, die die Musik rüberbringt. Ich will sie möglichst so spielen, wie der Komponist sie gemeint hat." So viel Demut gegenüber dem Werk ist keine Selbstverständlichkeit.

Doch vielleicht liegt es gerade an dieser Einstellung, dass Skrides Spiel so anrührend persönlich klingt. Technische Perfektion? Klar, aber kein Selbstzweck. Warm und berückend wandelbar ist der Klang, den sie ihrer Stradivari entlockt. Die Geige gehört einem Landsmann, dem Geiger Gidon Kremer. Der hat sie seiner jungen Kollegin überlassen, einfach so, sie hatten Jahre zuvor zusammen konzertiert. Lettische Musiker halten eben zusammen. "Ich habe sehr viel von dieser Geige gelernt", sagt Skride. "Ich konnte viele neue Klangfarben entdecken! Dafür braucht es halt Zeit." Sonst übertreibt sie es aber nicht mit dem Üben. "Zu viel davon ist schlecht für mich. Ich komme dann mit dem Kopf nicht klar. Ich musste erst lernen, wie viel ich wirklich brauchte."

Petru Munteanu, ihr Professor an der Rostocker Musikhochschule, bei dem sie schon als 15-Jährige studierte, hat ihr offenbar den Raum gelassen, den sie brauchte. Nur vor dem berühmten Königin-Elisabeth-Wettbewerb habe sie zu viel geübt, erzählt sie, da sei sie ganz verspannt gewesen. Dann hat sie den Wettbewerb aber doch gewonnen. 2001 war das, es war der Startschuss für ihre internationale Solokarriere.