Das ehemalige Gotteshaus St. Stephanus wird von seinen Nutzern neu erfunden

Hinter den alten Mauern wartet ein junger Mann. Er öffnet die schwere Holztür, trägt Bart und die obligatorische dunkle Brille. Sportiv geht es über die Treppe nach oben. Denn nach oben wollen hier alle.

Auf der Empore der ehemaligen St.-Stephanus-Kirche in Eimsbüttel, dort, wo früher die Orgel stand, reihen sich heute Schreibtische aneinander. Die Computer tragen das Apfellogo. Aus dem sakralen Raum ist eine moderne Bürolandschaft geworden, mit Lümmelecke, Kaffeemaschine und Parkett. Anna Frost steht mittendrin. Sie ist 26 Jahre alt, blond und ambitioniert gekleidet. Ihr Fachgebiet sind Internet und Mode. In ihr neues Projekt steckt sie gerade ziemlich große Hoffnungen.

Ein Ort der Hoffnung war die 1912 erbaute evangelisch-lutherische Kirche schon immer. Bevor die damalige Bischöfin Maria Jepsen das Gotteshaus an der Lutterothstraße im Jahr 2005 entwidmete und Altar, Bibel sowie das Kreuz in die nahe Apostelkirche gebracht wurden, diente das Gotteshaus den Gläubigen. Danach hatte TV-Koch Tim Mälzer Interesse an dem Haus. Ein Gourmet-Tempel sollte es werden.

Ernsthafte geschäftliche Hoffnungen knüpfte aber erst wieder der Immobilieninvestor Torsten Reim an die Kirche. Er kaufte das Haus, baute das Innere für eine Million Euro um, etablierte ein Café und nutzte es als Eventfläche. Allein: Es rentierte sich nicht. Doch jetzt steckt St. Stephanus wieder voller Hoffnung. Diverse Internet-Start-ups versuchen unter dem üppigen Dach ihr Glück. Das Haus ist zur Kreativ-Kirche von Eimsbüttel geworden.

Die Firma quote.fm hantiert hier etwa mit Zitaten und Textbausteinen im Internet, die elbdudler GmbH ist eine Werbeagentur mit dem Schwerpunkt in sozialen Netzwerken, und auch Anna Frost ist eine der Hoffnungsträgerinnen. Die Bloggerin schreibt seit fast sieben Jahren über Mode. Zunächst fotografierte sie sich mit neuen Klamotten vor dem Spiegel, zuletzt war sie Gast bei der Fashion Week in Berlin. Unter der Adresse Fashionpuppe.com machte sie sich einen Namen. Zum Leben reichte das noch nicht. Doch jetzt will sie Geld verdienen, den nächsten Schritt machen, wie sie sagt. Mit einem Netzwerk für Mode-Blogger.

Mit ihrem Freund Jakob Adler hat sie Musenet.com gegründet. Seit Januar ist das Portal online. Vier Mode-Blogs aus Wien, Stuttgart, Berlin und Hamburg bündeln sich unter einem digitalen Dach. Zusammen haben sie etwa 750.000 Leser pro Monat. Und weil die Seite dadurch für große Unternehmen interessant wird, könnte sie für Anna Frost und die anderen Internetschreiberinnen eine relativ stabile Einnahmequelle werden, denn Firmen können bei den Bloggerinnen wohlwollende Berichterstattung kaufen. Untergekommen sind die beiden bei der elbmudder GmbH, die die Kirche für einen hohen vierstelligen Betrag im Monat gemietet hat und dort die Infrastruktur für derzeit vier Start-ups bietet.

Bloggerin Anna Frost, die mit Jakob Adler von Düsseldorf nach Hamburg zog, schreibt in Glanzzeiten drei bis vier Texte pro Tag, agiert zeitgleich als Geschäftsführerin der monochrome GmbH. Hamburg mit seinem engen Netzwerk aus Werbern und Designern biete eine Menge Möglichkeiten für Mode-Bloggerinnen wie sie. Jakob Adler fügt hinzu: "In Hamburg geht einfach mehr." Anna Frosts Selbstverständnis habe sich durch die Stadt gewandelt. Die Kaufmannsstadt hat ihr wirtschaftliches Denken beflügelt. Und: "Ich trage viel weniger High Heels." Die Geschichte einer jungen Frau, die auf flachen Schuhen in einer Kirche nach oben will, hat wohl erst begonnen.