Popstars fallen nicht vom Himmel. Sie brauchen Talent, Glück und ein dickes Fell, meint Abendblatt-Redakteur Tino Lange

Das Bühnenlicht geht an und spiegelt sich in den Gitarren. Du gehst zum Mikro und begrüßt Hunderte begeisterte Fans. Du bist ein Star. Zumindest in deinen Träumen, denn noch stehst du in deinem Zimmer: Der Deckenstrahler spiegelt sich nicht in deiner Federballschläger-"Gitarre" und mit dem Spülbürsten-"Mikro" grüßt du nur dich selber im Spiegel. Du bist kein Star. Noch nicht.

Vielleicht hast du Talent, spielst schon ein paar Monate Gitarre, schreibst gute Liedtexte oder hast eine schöne Stimme? Dann reicht es ja, sich ein paar Gleichgesinnte zu suchen, einen Proberaum zu mieten und nach einer Handvoll erster Konzerte die Große Freiheit 36 zu füllen. So wie die echten, erfolgreichen Bands.

Wenn das nur so einfach wäre. Ist es aber meistens leider nicht. Schon das Finden von Bandmitgliedern ist eine nervige Aufgabe. Meist fehlen der Schlagzeuger und eine gute Sängerin. Und welcher Stil soll es sein? Rock? Pop? Reggae? Metal? Electro? Hip-Hop? Dann geht es auf die Suche nach einem Proberaum, denn selbst eine Zweimannband braucht dicke Wände, Musik ist nur gut, wenn sie laut ist. Für Metaller: sehr laut! Tja, und in Hamburg balgen sich mehrere Zehntausend Hobby-Musiker und Profis um gute Proberäume, von denen die wenigsten kostenlos bespielbar sind. Oft zahlt man horrende Mieten für kalte Löcher, die streng nach feuchtem Keller riechen.

Auch die Großen haben klein angefangen, so wie Musiker Jan Delay: "Als ich 1991 angefangen habe, hat schon ein Sampler (ein elektronischer Klangerzeuger) unfassbares Geld gekostet, obwohl er weniger Speicher besaß als mein erstes Handy", erzählt er, "heute ist es deutlich leichter, an bezahlbares Gerät zu kommen, Kontakte zu knüpfen und Leute auch zu kleinen Konzerten zu ziehen - genug Talent vorausgesetzt natürlich, daran hat sich nichts geändert." Die sozialen Netzwerke wie Facebook, Twitter oder Myspace machen es Musikern heute viel einfacher als früher, sich und ihre Musik zu präsentieren und zu verbreiten, Fans zu versammeln und auch ohne erstes Album schon angesagte Clubs wie Molotow und Knust zu füllen. Die jungen Hamburger Bands Fuck Art, Let's Dance! oder Tonbandgerät haben es geschafft.

Nur: Sowohl online (also im Internet) wie offline ist das Musikangebot riesig. Künstler wie Lana Del Rey oder Psy, die auf der Internetseite YouTube zu Stars wurden, sind die große Ausnahme. Die Masse geht einfach im Gewimmel unter wie die Aufnahmen, die Nachwuchsmusiker hoffnungsvoll an Plattenfirmen schicken. Neben Talent braucht man auch viel Glück. Dein Glück kannst du natürlich auch woanders suchen, statt jahrelang in Probebunkern und in Jugendzentren zu rocken. Castingshows im Fernsehen versprechen schnellen Ruhm. Einmal vorsingen, ein paar Runden überstehen und fertig ist die Goldene Schallplatte. Aber abgesehen von der auch hier großen Zahl der Talente, die bei "Deutschland sucht den Superstar" oder "X Factor" Schlange stehen: Manchmal ist dort nicht deine Stimme wichtig, sondern eher deine Familie, deine Herkunft, dein Aussehen. Darüber wird dann gern gelästert. "Man muss auf jeden Fall gucken, wo man hingeht", sagt Sängerin Lena Meyer-Landrut, "Ich bin froh, dass ich zu Stefan Raab gegangen bin und nicht zu 'DSDS' oder 'Popstars'. Das ist schon ein Unterschied. Und dann sollte man das machen, was man selber gut findet, nicht, was die anderen gut finden." Und hast du gewonnen, bist du mit Pech bis zur nächsten Folge einer Castingshow wieder vergessen. Oder erinnert sich noch jemand an Nu Pagadi, Edita Abdieski, Elli Erl, Overground oder Some & Any? Egal ob auf dem mühsamen Weg durch Clubs oder schnell durch Castingshows: Je berühmter man wird, desto anstrengender wird es. Jeder will was von dir, du lebst nur im Hotel, gibst Konzerte, Konzerte, Konzerte. "TV-Reisen, Radioreisen, Clubtouren, Autogrammstunden, Preisverleihungen, alles auf einmal. Ich hatte nie Zeit, um die neuen Eindrücke zu verarbeiten", erinnerte sich der Graf von Unheilig, ein alter Hase im Geschäft, der nach seinem großen Erfolg mit dem Ruhm zu kämpfen hatte. Und den Nebenwirkungen.

Denn je mehr Menschen dich lieben, desto mehr hassen dich auch. Tokio Hotel oder Justin Bieber können ein Lied davon singen. Jede neue Frisur, jeder Kuss, jedes unbedachte Wort löst Lawinen von bösen Kommentaren in den sozialen Netzwerken, in Zeitungen, Radio und Fernsehen aus. Du bist ein Star, mit dir kann man es ja machen. Also brauchst du nicht nur Talent, Geduld, harte Arbeit und Glück, sondern auch ein dickes Fell. Aber weißt du, wann all das vergessen ist? Wenn das Bühnenlicht angeht und sich in den Gitarren spiegelt. Wenn du zum Mikro gehst und Hunderte begeisterte Fans begrüßt.

Was wohl aus dem Federballschläger wurde?