Im Hamburger PC-Spieleentwickler Daedalic sehen Branchenkenner den legitimen Nachfolger der legendären Lucas Arts aus Hollywood

Wir haben aufgehört, Spiele einfach nur fertigzustellen." Carsten Fichtelmann, Geschäftsführer und Mitbegründer des Hamburger PC-Spielentwicklers Daedalic Entertainment, lehnt sich zurück und denkt einen Moment nach. "Früher hat man uns belächelt. ,Das sind doch Chaoten!', haben alle gesagt. Jetzt gewinnen wir mehr Preise als all unsere Hamburger Konkurrenten zusammen."

Wenn Fichtelmann über das Unternehmen spricht, das er 2007 zusammen mit Jan Müller-Michaelis gegründet hat, ist er sowohl der kühl kalkulierende Diplom-Kaufmann als auch der leidenschaftliche Geschichtenerzähler, dem manche Leute nachsagen, er sei wie ein Kind. Daedalic gilt in Fan- und Fachkreisen als weltweit bedeutendstes Entwicklerstudio, wenn es um Adventures geht, Spiele zum Tüfteln und Knobeln. 2012 hat Daedalic den Deutschen Entwicklerpreis zum fünften Mal in Folge gewonnen - in drei Kategorien. Manche Fans glauben gar, Daedalic sei der Nachfahre von George Lucas' legendärer Videospielsparte LucasArts, die für Marksteine wie "Maniac Mansion" verantwortlich ist.

Creative Director Jan Müller-Michaelis ist sich sicher, dass es Kunst ist, was er macht. Ein Blick in die Büros, und man weiß, was er meint. Wie in futuristischen Ateliers sitzen hier in Groß Borstel Daedalics kreative Köpfe vor berührungsempfindlichen Bildschirmen, zeichnen filigrane Fabeltiere und entwerfen Hintergründe, die aussehen wie Landschaftsgemälde.

Die Autoren ersinnen weit verzweigte Handlungsstränge. "Die Dialoge in unseren Spielen sind jeweils bis zu 150.000 Wörter lang", sagt Fichtelmann. Das ist mehr als ein durchschnittlicher Roman. "Unsere Autoren sollen ihren Ideen freien Lauf lassen, ohne sich von apodiktischen Richtlinien oder ihren Chefs bevormundet zu fühlen." Die Rechnung geht auf: Der europäische Spielemarkt boomt und schließt allmählich zum Volumen des amerikanischen Marktes auf. Das Genre Adventure gilt aber schon seit einigen Jahren als tot. Dass Daedalics Fangemeinde und Umsätze trotzdem wachsen, ist ein Indiz für die herausragende Qualität der kruden Abenteuer aus dem Hamburger Studio. Die meisten davon leben von ihrem abstrusen Humor und ihren gummizellentauglichen Antihelden - allen voran die neurotische Edna, die zusammen mit ihrem pyromanisch veranlagten Kuschelhasen Harvey einer Irrenanstalt zu entkommen sucht, und Rufus, dem faulenzenden Star aus "Deponia", der sich auf einem Schrottplatzplaneten zu Tode langweilt.

"Wir bauen darauf, dass die Menschen für spannende Geschichten immer zu haben sein werden", sagt Fichtelmann, "egal ob unsere Branche ihre Produkte nun online vertreibt oder in Verpackungen, ob die Grafik hochmodern ist oder wie bei uns zeitlos comicartig. Deshalb veralten unsere Spiele nicht. Genau wie einen Film wird man sie in 20 Jahren genießen können wie heute - ohne ein nachsichtig-herablassendes Lächeln über die damalige Beschränktheit der Technik."

Daedalic will Hamburg auf jeden Fall treu bleiben: "Für uns hat die Stadt vor allem im Hinblick auf Vernetzung mit Zulieferern Vorteile. Viele Entwickler lassen sich bewusst in Hamburg nieder." Spiele werden nicht das einzige Standbein der Firma bleiben. Fichtelmann und Müller-Michaelis, die beiden einzigen Gesellschafter des Unternehmens, wollen demnächst auch auf dem hart umkämpften Film- und Comic-Markt Fuß fassen. "Die Adventure-Enthusiasten können wir aber beruhigen: An diesem Genre halten wir fest."