Abendblatt-Atlas zeigt höchst unterschiedliche Ansprüche. Doch es gibt die Suche nach dem Ideal

Wer im Internet nach der idealen Straße für sich sucht, landet meist bei Maklern. Jedenfalls, wenn man den Suchbegriff "ideale Straße" eingibt: Da erscheint dann mal ein "hochwertiger Landhausklassiker in ausgesuchter Wohnlage" - der bei näherer Betrachtung einsam und ruhig weit draußen vor der Stadt liegt. Ein anderes Mal ploppt eine Anzeige auf, die für eine Wohnung an einer Straße wirbt, die "ausgesprochen gut mit Schulen, Geschäften und Restaurants ausgestattet ist". Und die daher wohl nicht eben eine geräuscharme Adresse sein dürfte.

Die ideale Wohnstraße, so scheint es, gibt es wohl nicht. Das Ideal liegt eher im Auge des Betrachters: Szeneviertel, Reihenhaus-Quartier oder gediegenes Waldgrundstück - alle drei haben ihre Fans. Auch beim großen Hamburger Straßentest auf abendblatt.de gibt es keine aktuelle Superstraße.

8100 sind dort beschrieben, maximal fünf Sterne vergaben die 150 Testreporter für einzelne Kriterien; von Lesern kommen derzeit täglich zusätzliche Bewertungen hinzu. Aber ein Maximum an Einkaufsmöglichkeiten kann nicht gleichzeitig ein Maximum an Wohnruhe ergeben. Aber wie wäre es, wenn man eine ideale Straße anstrebt?

Thomas Krüger, Professor im Department Stadtplanung der HafenCity Universität, nennt als Vorbild für eine ideale Straße das Modell der "europäischen Stadt", wie er sagt. Also einen Straßenzug, der eine "städtische Struktur" besitze, an dem es Wohnungen, aber auch Geschäfte, Cafés und kleine Gewerbebetriebe gibt. Und, ja doch, auch richtige Straßen. "Vernünftig mit zwei Fahrbahnen", wie Krüger sagt.

Klar würden viele sich zum Wohnen eine nahezu autofreie Straße wünschen, aber wenn man gleichzeitig auch ein lebendiges Viertel haben möchte, mit Geschäften, die auch existieren könnten - dann, so sagt der Stadtforscher, müsse man auch ein wenig Straßenverkehr akzeptieren, der die Erreichbarkeit mit Pkw und Lieferwagen sichert. Wie überhaupt ein scheinbar idyllisches Wohnen, ruhig und grün am Rand der Stadt oder darüber hinaus, sich später als trügerisches Ideal herausstellen könnte.

Das zeigt im Internet der WoMo-Rechner ( www.womo-rechner.de), den Krüger und seine Mitarbeiter in der HafenCity-Universität für Hamburg entwickelt haben. Dabei handelt es sich um ein Programm, das Wohn- und Mobilitätskosten für Straßen in und um Hamburg ermittelt. Versteckte Kosten wie etwa für das "Mama-Taxi" wegen fehlender Nahverbindungen oder Instandhaltungskosten für Eigenheimbesitzer werden dabei mit berücksichtigt. "Häufig werden solche Zusatzkosten im Umland unterschätzt", sagt Krüger. Die vermeintlich ideale Straße im Grünen entpuppt sich dann bald als ziemlich teures Pflaster zum Wohnen.

Die ideale Straße ist aus dieser Betrachtung eben eine Stadtstraße: Und die hohen Mieten in den alten Gründerzeitquartieren scheinen ja auch zu bestätigen, dass viele Menschen so eine Wohngegend heute tatsächlich bevorzugen. Woran mag das liegen? Der Hamburger Bauhistoriker Gert Kähler nennt zwei Gründe: Zum einem sei es die von Krüger beschriebene Mischung. Kähler fügt ergänzend zum Begriff Mischung hinzu, Mischung muss auch eine soziale Mischung sein, damit ein Wohnquartier gut funktioniert und man sich dort wohlfühlt, sagt er. So sei es früher auch in den heutigen Altbauquartieren gewesen.

Während Kähler die Vergangenheit in seine Betrachtungen einbezieht, Krüger sich mit Kosten und Aspekten bei heutigen Wohnort-Entscheidungen beschäftigt, ist die weitere Zukunft eher die Sache von Julian Petrin. Der Stadtplaner ist Gründer der Planergruppe nexthamburg, die sich mit Visionen für Hamburg beschäftigt. Viel arbeitet nexthamburg mit Internetforen und versteht sich als eine Art Sprachrohr für Stadtplanungsideen von Bürgern.

Rund 700 mehr oder weniger realisierbare solcher Vorschläge hat Petrin gerade in einer von der Körber-Stiftung finanzierten Broschüre zusammengefasst. "Bürgervisionen für eine neue Stadt" lautet der Titel des Papiers, das Vorlage für viele ideale Straßen sein will: So gibt es dort etwa den Vorschlag, auf Steinwerder eine Art Gegen-HafenCity zu bauen: mit kleineren Häusern, Gassen, Läden, Büros und Wohnungen.

Doch was passiert nun mit solchen Ideen? Nexthamburg-Gründer Petrin plädiert für mehr Mut der Behörden zur Umsetzung. Warum, so fragt er, könne man einige Vorschläge nicht einfach einmal ausprobieren? Beispielsweise indem man eine viel befahrene Wohnstraße für einige Tage für den Durchgangsverkehr sperrt. "Einfach nur, um zu sehen, was dann passiert." Also eine Art Versuch-und-Irrtum-Planung als Mittel, um die ideale Straße zu finden.