In 52 Prozent von Hamburgs Haushalten lebt nur eine Person. Viele der Singles sind damit ganz zufrieden

Verheiratete Menschen leben länger als unverheiratete. Das haben Wissenschaftler herausgefunden. Möglicherweise ist das ein Grund, warum die Politik so viel Energie darauf verwendet, die Familie zu stärken. Da wird um mehr Kindergartenplätze gerungen, um bessere Schulen oder über das Für und Wider des Ehegattensplittings gestritten.

Obwohl nun aber Ehepaare mit längerer Lebenszeit belohnt werden, sieht die "Beziehungsrealität" - zumindest die in Hamburg - ganz anders aus. Die Elbmetropole ist eine Stadt der Single-Haushalte. Dem Statistikamt Nord zufolge lebt derzeit in 52 Prozent der knapp über eine Million Haushalte nur eine Person. Mit anderen Worten: Bei der Zahl der Haushalte sind Alleinlebende längst in der Mehrheit.

Uwe Müller* ist einer von ihnen. Wir treffen uns im Café May in Eimsbüttel. Der Mittvierziger hatte nie den Plan, allein zu leben. "Irgendwie ergab es sich." Uwe weiß um seine "unermessliche Freiheit", wie er sagt. Wenn ihm abends danach ist auszugehen, muss er nicht fragen. Wenn es im Büro wieder mal etwas länger wird, kennt er die Anrufe nicht, bei denen die Ehefrau fragt, wann er denn endlich heimkomme.

Anfangs, gleich nach dem Studium, standen Job und Karriere im Mittelpunkt seines Lebens. Der Ingenieur arbeitet gern und viel. Überstunden besserten das Anfangsgehalt auf. "Nicht dass ich keine Freundinnen hatte, aber die Richtige war nicht dabei", erzählt er. Schlimm sei das nicht gewesen. Er fand Freunde: für den Sport, für das Theater. Er probierte er Single-Reisen aus.

Der Hamburger Psychologe Michael Thiel ist der Ansicht, dass es nicht den einen Single-Typ gibt. Im Kern lassen Menschen, die dauerhaft allein leben, sich zu drei Gruppen zusammenfassen. Der erste Typ sind Menschen, die hohe Ansprüche haben und bei der Partnerwahl sehr wählerisch sind. "Sie stellen Anforderungen, die kaum ein irdischer Mensch erfüllen kann."

Der zweite Typ zeichne sich durch ein hohes Maß an Unabhängigkeit und Eigenständigkeit aus, sagt Thiel. "Diese Menschen genießen das Single-Leben." Sie oder er wollen das nicht aufgeben, auch wenn sie um die Schönheit von Familie und Kindern wissen. Als Drittes führt Thiel Menschen an, die nach einem Verlust "fast traumatisiert" sind. Sie sind über den Tod eines früheren Partners oder eine schmerzhafte Trennung noch nicht hinaus.

Auf der Suche nach einem anderen Menschen landen Singles möglicherweise bei dem Hamburger Paarforscher Eric Hegmann. Es falle auf, dass allein lebende Frauen oft besser zurechtkämen, sagt Hegmann, der für die europaweit agierende Online-Partneragentur Parship als Experte arbeitet. "Frauen verfügen meist über ein gut funktionierendes soziales Netzwerk." Männern hingegen droht häufiger die Vereinsamung. "Sie sprechen nicht über ihre Gefühle, sie verkriechen sich."

Zugleich räumt Hegmann mit einem Missverständnis auf: "Single sein heißt nicht automatisch allein sein." Oftmals befriedigen Freunde das Bedürfnis nach einer Familie. Es ist nicht ungewöhnlich, wenn Singles sich für bestimmte Bedürfnisse ganz bestimmte Personen aussuchen. "Da gibt es den Freund für den Sport, die Freundin für das Konzert und - ja, auch - den Partner für Sex", sagt Hegmann.

Zudem hat sich das Bild von allein lebenden Menschen, zumindest in Großstädten, geändert. "Single sein heißt nicht, eigenbrötlerisch zu sein", sagt der Psychologe Thiel. Es sei in Hamburg nicht ehrenrührig oder gar auffällig, wenn eine Frau oder ein Mann allein lebten. Vielmehr haben sich viele Geschäftsleute darauf eingestellt.

Frisch gebratene Frikadellen sollen es sein. Die Frau, die im Edeka-Supermarkt an der Osterstraße vor der Fleischtheke steht, ist hartnäckig. Die Verkäuferin lächelt. Dann holt sie aus einem Kühlschrank vorbereitete Frikadellen heraus und fängt an, diese auf einem Herd am Ende der Ladentheke zu braten. "Jeder unserer Kunden bekommt an unserer Fleischtheke die Menge, die er wirklich braucht", sagt Volker Wiem, Mitinhaber der Niemerszein-Supermarktkette. Auch in anderen Bereichen ist der Supermarkt ein Paradies für Menschen, die es leid sind, Jumbopackungen zu kaufen.

Weil es so viele Singles gibt, sind sie das Objekt zahlreicher Untersuchungen. Der Single-City-Index untersucht etwa den Lebensstil alleinstehender Großstädter. Demnach gilt die Lebensqualität Hamburgs als besonders gut. "Allerdings macht Hamburg es Singles nicht so leicht, jemanden kennenzulernen", sagt Paarforscher Hegmann. "Hamburgerinnen und Hamburger sind etwas zurückhaltender, dafür aber verbindlicher in einer Beziehung."

Und ein weiteres Problem hat die Hansestadt: "Kleine, gut gelegene Single-Wohnungen sind eindeutig der Wohnungstyp, bei dem in Hamburg die höchste Knappheit herrscht", sagt Johannes Haus, einer der Gründer und Geschäftsführer von Loftville, dem Immobilienmarktplatz für Städte. Daher schließen vermehrt Singles sich zusammen und gründen Wohngemeinschaften. War für Makler und Vermieter früher das kinderlose, gut verdienende Ehepaar der bevorzugte Mietertyp, sind es heute die Berufstätigen-WGs. "Paare trennen sich oft", sagt Haus. "Wohngemeinschaften haben eine Mehrzahl unabhängiger Einkommen, und wenn eine Person auszieht, bleibt das Mietverhältnis in vielen Fällen dennoch stabil."

Auch wenn Singles zum Alltag gehören, haftet ihnen nach wie vor der Geruch des Egoisten an. Diesen Vorwurf lässt Uwe Müller sich ungern machen. Es sind unterschiedliche Lebenswelten, in denen Singles und Familien leben, sagt er. "Was nicht heißt, dass das eine schlechter als das andere ist." Gelegentlich trifft er einen Studienfreund. "Auch wenn jeder mit seinem Leben zufrieden ist, so gibt es doch Dinge, um den wir den anderen beneiden: ich ihn um seine Familie, er mich um meine Freiheit."

In Metropolen gibt es vermehrt das Phänomen, das Experten als "living apart together" bezeichnen: Menschen sind dabei zwar als Paar zusammen, leben aber jeder in der eigenen Wohnung. "Das kann funktionieren, weil Menschen sich in Stresssituationen aus dem Weg gehen können", sagt Thiel.

Am Ende zeigt sich, dass selbst im Großstadtgetriebe Menschen die Nähe zu anderen Menschen suchen. Für den Psychologen Michael Thiel ist das keine Überraschung: "Viele Singles mögen es paradoxerweise nicht, allein zu sein."

*Der Name ist der Redaktion bekannt.