Das ist eine prächtige Landschaft zum Ausreiten. Nikita, 23, schwärmt von der Garstedter Feldmark. Die Pinnebergerin wird Pferdefachwirtin und lernt bei Wieger de Boer. Der erfolgreiche Dressurreiter bildet den Nachwuchs aus. Sein guter Ruf dringt längst bis nach Hamburg und in die Nachbarkreise, Eltern lassen ihre Kinder Volten und Traversen in Norderstedt lernen. "Wir sind die Reiterhauptstadt im Norden", sagt de Boer selbstbewusst. Beleg ist das Gütesiegel "pferdefreundliche Gemeinde", mit dem die Stadt 2002 ausgezeichnet wurde. Rund 2500 Pferde stehen in den Ställen, die meisten in Garstedt, dem innerstädtischen Reiterdorado.

Die Vierbeiner pflegen die Feldmark, die größte zusammenhängende Kulturlandschaft in Norderstedt. Sie halten das Gras kurz und sind so die Klammer zur Vergangenheit. Früher grasten hier Rinder. Garstedt war ein Bauerndorf - und schon immer was Besonderes. Im Südwesten des heutigen Norderstedt war die Erde fruchtbarer, hatten es die Bauern leichter als auf dem harten, trockenen Boden der Harkesheyde. Und Garstedt ist die älteste Norderstedter Ursprungsgemeinde, sie wurde 1370 erstmals urkundlich erwähnt. Nur vier Jahre später tauchte Harksheide in den Annalen auf.

Schon immer stritten die beiden, wer nun bedeutender ist. Lange lag Garstedt in der Einwohnerstatistik vorn, doch die städtischen Daten aus dem vorigen Jahr billigen Harkheide den Spitzenplatz zu: Hier wohnen 24 325 Norderstedt, in Garstedt 20 431.

Der Zusammenhalt unter den alten Garstedtern ist einfach enorm

"Was Besonderes ist Garstedt auch heute noch. Nicht, dass wir uns als was Besseres fühlen, aber der Zusammenhalt unter den alten Garstedtern ist einfach enorm", sagt Gunnar Löwe. Der 47 Jahre alte Leiter des Alten- und Pflegeheims Scheel ist im ältesten und "höchst charmanten" Norderstedter Stadtteil aufgewachsen und geblieben. "Man schludert übereinander, aber wenn es einem schlecht geht, sind sie alle da."

Die Nachbarn im Norden und Osten wurden ignoriert. "Wir waren schon immer nach Hamburg ausgerichtet, nach Schnelsen, auch nach Bönningstedt und Hasloh. Mit den Harksheidern hatten wir nichts zu tun", sagt Marianne Hatje, 81, die alles über den Stadtteil weiß. Sagt jedenfalls Löwe. "Der Verkehr ist das Schlimmste", sagt die Garstedterin. Früher hat sie auf dem Friedrichsgaber Weg Kibbel Kabbel gespielt. Da kam kaum mal ein Auto. Heute rauschen in Spitzenzeiten mehr als 20 000 über die Nord-Südachse, Tendenz steigend.

In Garstedt, sagt Löwe, ist Norderstedts Geschichte am lebendigsten. Im alten Dorf rund um die Straße Spann, da, wo liebevoll gepflegte Reetdachkaten an die bäuerliche Vergangenheit erinnern, an eine Zeit, als die Familien Hatje, Lüdemann, Timm und andere ihre Höfe bewirtschafteten, als bei Wegner im Garstedter Hof die "Kontaktzentrale" war, wo sich junge Männer und Frauen beim Danz op de Deel näher kamen, als jeder jeden kannte, der Kaufmannsladen noch an der Ochsenzoller Straße war, sieben Mädchen geboren wurden, weil der Herr des unbedingt einen Stammhalter wollte, es beim Kaufmann Kuchenränder für zehn Pfennig gab und Schlachter Faden Eisblöcke aus dem Schlittschuhteich schlug, um seine Ware zu kühlen, weil es noch keine Kühlschränke gab.

"Damals klingelte es abends an der Tür, Verwandte und Freunde kamen zum Klönen vorbei, einfach so, ohne vorherige telefonische Anmeldung", sagt Marianne Hatje. Was die Gastgeber zwar freute, aber auch vor Probleme stellte. Getränke hatte man nicht im Haus. "Wie oft musste ich zu Wegner laufen und sechs Flaschen Bier holen", sagt Rolf Hatje, 81, übrigens nicht verwandt mit Namensvetterin Marianne, aber ebenfalls Garstedter Ur-Gestein. Und wenn Marianne über das "Who is Who" in Garstedt spricht, verwirren sich die Beziehungen untereinander schnell zu einem Knäuel, das nur noch sie entwirren kann. Irgendwie scheint jeder mit jedem verwandt zu sein.

Zunehmend verblassen die bekannten Namen, ist die dörfliche Gemeinschaft der Anonymität gewichen, wie sie für städtische Bereiche typisch ist. "In Garstedt lässt sich die städtebauliche Entwicklung gut ablesen", sagt Norderstedts Baudezernent Thomas Bosse. Im Westen die Bauernkaten aus der Anfangszeit, im Bereich Möhlenbarg, Alte Dorfstraße und Ochsenzoller Straße die Siedlerhäuser der Nachkriegszeit und am Herold Center die hochgeschossigen Bausünden der 70er-Jahre. Hier schlägt das urbane Herz Norderstedts, ist die Stadt am dichtesten besiedelt.

"Und wir müssen mit dem Vorwurf leben, genau diesen Fehler mit dem Bau des Stelzenhauses wiederholt zu haben", sagt Bosse. Doch das Projekt habe sich als richtig erwiesen, es passe architektonisch und sei im Handumdrehen bezogen worden, was auch für das ebenfalls wuchtige Emma-Plambeck-Haus gelte. Gerade ältere Menschen hätten ihre Häuser frei gemacht und wohnten jetzt da, wo sie U-Bahn und Läden vor der Tür haben. Trotz der großen Nachfrage nach Wohnraum seien die Mieten im Quartier mit rund sechs Euro netto kalt nicht übermäßig hoch. Die Wohnblocks aus den 70er-Jahren wirkten preishemmend. Sonst müssten Mieter für schon mal neun oder zehn Euro für den Quadratmeter ausgeben.

Das Herold Center ist mit 140 Fachgeschäften und in Spitzenzeiten mehr als 30 000 Kunden am Tag nicht nur das zweitgrößte Einkaufszentrum Schleswig-Holsteins, sondern auch der Handelsplatz in Norderstedt schlechthin. "Hier herrscht eine enorme Dynamik", sagt Bosse und meint unter anderem die Discounter, die ins Gewerbegebiet Kohfurth drängen. Doch die sehen Rot, das Angebot mit Aldi und Edeka reiche. Dennoch müsse das Gewerbegebiet, das ohnehin falsch, weil mitten in der Stadt liege, zu einem Wohn- und Arbeitsquartier weiter entwickelt werden. Die städtebauliche Entwicklung sei eng mit der Verkehrsentlastung verknüpft. Das Verkehrskonzept Garstedt liegt vor, Stadt und ein externes Büro haben Vorschläge auf den Tisch gelegt, wie Straßen im Südwesten Norderstedts entlastet werden können. Dazu zählen Abbiegspuren und Abbiegeverbote vom Straßenzug Niendorfer Straße/Friedrichsgaber Weg, die Verlängerung der Berliner Allee nach Norden zum Friedrichsgaber Weg, über die die Kunden zum Herold Center geführt werden sollen, Einbahnstraßen und Kreisverkehre an den Kreuzungen Ochsenzoller Straße/Achternfelde/Tannenhofstraße und Ochsenzoller Straße/Schwarzer Weg/Scharpenmoor/Alte Dorfstraße. Eine weitere Besonderheit in Garstedt ist der Fluglärm (s. Infokasten).

Doch nicht nur hier liegen die Baustellen für die Stadtplaner: Die trostlose Brachfläche vor Karstadt soll weiterentwickelt werden. Pläne für das Dauerprojekt, das seit mehr als 20 Jahren vor sich hin schmort, liegen in der Schublade. Gedacht ist auch an einen Kundenmagneten wie Media Markt oder Saturn. "Aber bringen sie mal eine Handvoll Eigentümer und Investoren unter einen Hut", sagt Bosse. Momentan ruhe die Planung wegen der ungewissen Zukunft von Karstadt.

Im Visier haben die Stadtplaner auch die Tore nach Norderstedt. "Die sind alles andere als attraktiv", gesteht der Baudezernent ein. Ein Dorn im Auge sind ihm die Autohändler entlang der Ohechaussee. Und auch der Bereich um den alten Spritzenteich an der Niendorfer Straße müsse verschönert werden. Hier biete sich ein kleiner Turm mit Café an. Doch ohne die Zustimmung der Eigentümer seien solche Ideen nicht zu realisieren.

Viel besser sehe es weiter südlich aus, sagt Bosse. Mit den beiden bunten Nordport-Türmen habe die Stadt ein attraktives Südportal. Ohnehin sei der Nordport ein Pfund, mit dem die Stadt wuchern könne. Renommierte Firmen wie Casio, Tom Tailor und die Firma Garbe mit dem World Cargo Center haben sich hier niedergelassen. Und die Nachfrage sei weiter groß. Weniger freundlich stelle sich die Situation gegenüber dar. Das Gewerbegebiet Nettelkrögen, eins der ältesten in Norderstedt, müsse modernisiert werden.

Deutlich weiter gediehen ist das planerische Prachtstück: Auf dem Garstedter Dreieck sollen zwischen 550 und 650 Wohneinheiten für rund 2000 Menschen entstehen. Die Anforderungen an das städtebauliche Konzept sind hoch: Zwischen Kohfurth, den U-Bahn-Gleisen und dem Knick südlich des Buchenweges soll ein Wohngebiet entstehen, in dem die Lebensform der Zukunft praktiziert wird. "Wir wollen keine Monostruktur, wie es sie in anderen Städten so häufig gibt. Hier sollen die Menschen gemeinsam älter werden, sich Singles genau so wohl fühlen wie Patchwork-Familien", sagt Bosse über das rund 110 Hektar große Neubaugebiet, das größte in Norderstedt. Dieses Areal werde aber die letzte große Neubau-Fläche sein. Weiterer Wohnraum werde in kleineren Einheiten wie am Rotdornweg, am Birkenweg oder auf dem ehemaligen Lagerplatz von Plambeck an der Ochsenzoller Straße entstehen. "Wir wollen nach innen wachsen und mit viel Qualität", gibt der oberste Stadtplaner das Motto vor.

Ochsenzoll und Schmuggelstieg erinnern an die Geschichte der Stadt

Als gelungen bezeichnet er auch die Neugestaltung des Schmuggelstieges, die allerdings noch nicht abgeschlossen sei. Bisher wurde das Einkaufszentrum modernisiert, jetzt sollen die umliegenden Bereiche bis zu Meyers Mühle und der südlichen Ulzburger Straße folgen. An der Grenze zu Hamburg liegt auch der geschichtsträchtigste Bereich Norderstedts: Die Bauern, die ihre Ochsen von Norden zur Elbfähre in Zollenspieker oder zum Ochsenmarkt nach Wedel trieben, mussten dort Zoll zahlen, wo heute Segeberger Chaussee, Langenhorner Chaussee und Schleswig-Holstein-Straße aufeinander stoßen. Natürlich versuchten die Ochsentreiber, ihre Tiere an den Zollbeamten vorbeizuführen oder den Zoll mit den merkwürdigsten Ausreden zu umgehen.