Nach der Abstimmung ist vor der Wahl. Nach dem Beschluss der Kaltenkirchener Stadtvertretung, ein Abwahlverfahren gegen Bürgermeister Stefan Sünwoldt (SPD) einzuleiten, steht den Bürgern jetzt ein Wahlkampf bevor, wie ihn die Stadt noch nicht erlebt hat. Sie müssen über die berufliche Zukunft eines Mannes entscheiden, der die Kleinstadt in zwei Lager gespalten hat. Wie tief der Riss ist, zeigte sich bereits bei den Reaktionen des Publikums in der Stadtvertretung am Freitagabend. Ob Applaus oder wütende Zwischenrufe - eine klare Mehrheit von Sünwoldt-Kritikern oder -Anhängern war nicht auszumachen.

Wie berichtet, hatte das Stadtparlament am Freitag mit 19 zu sechs Stimmen beschlossen, das Abwahlverfahren einzuleiten. Die Kaltenkirchener sollen jetzt abstimmen, ob sie den Bürgermeister, den sie 2005 mit großer Mehrheit gewählt, am 8. Mai vor die Tür setzen. Die Bürger werden dabei vor eine kaum lösbare Aufgabe gestellt: Sie sollen sich eine Meinung darüber bilden, ob der Bürgermeister bei der Arbeit hinter den Rathaus-Kulissen versagt hat. Sie müssen unter anderem beurteilen, ob er Verhandlungen mit Investoren fürs Gewerbegebiet verschleppt hat, ob er sich genügend für die Ansiedlung einer Privatschule gekümmert hat, oder ob er in den Ausschüssen gesessen hat, ohne sich über die Tagesordnung zu informieren.

Ein Vorwurf: Sünwoldt hat Beschlüsse der Politik nicht umgesetzt

Sünwoldt wird außerdem vorgeworfen, Nato-Soldaten in Afghanistan Gewalttaten gegen die Zivilbevölkerung unterstellt zu haben, Beschlüsse der Politik nicht umzusetzen und dem Image der Stadt massiv zu schaden. Sünwoldt agiere wie ein Politiker, obwohl er Chef einer Verwaltung sei, sagen seine Kritiker. Der Bürgermeister und sein Amtsverständnis - kein anderes Thema hat die Kommunalpolitiker mehr erregt und verärgert.

Die Sünwoldt-Gegner aus CDU und FDP haben angekündigt, die Kaltenkirchener in den kommenden Wochen detailliert aufzuklären, was aus ihrer Sicht schief gegangen ist und warum der Bürgermeister abgewählt werden müsse. "Sie können das ja nicht wissen", hatte der CDU-Fraktionsvorsitzende Kurt Barkowsky in der Stadtvertretung dem Publikum gesagt. Barkowsky und seine Mitstreiter müssen den Kraftakt vollbringen, mit längst vergangenen Konflikten die Bürger von der Notwendigkeit der Abwahl zu überzeugen, ohne den immer wieder geäußerten Vorwurf des Mobbings zu bestätigen. Damit wird aus der Abstimmung über den Bürgermeister auch ein Gradmesser, wie weit die Bürger den Politikern und ihren Aussagen vertrauen. Die Gefahr, sich dem Vorwurf des Nachtretens auszusetzen, ist groß und bringt die Initiatoren in eine unkomfortable Position.

Ihnen wird als Wahlkämpfer ein Bürgermeister gegenüberstehen, den selbst manche Kritiker als "nett" bezeichnen und der bei Wein- und Richtfesten gut bei den Bürgern ankommt. Er wird diesen taktischen Vorteil mit Sicherheit nutzen und beginnt bereits, seine Gegner in die Ecke der Nachtreter zu stellen. "Da wird viel schmutzige Wäsche gewaschen werden", sagt Sünwoldt. "Das ist übel für die Stadt."

Der Dauerstreit um Sünwoldts Amtsführung war stets mehr als eine Debatte über seine Fähigkeiten. Zwar betonten die Kritiker immer wieder, dass sie den 50-Jährigen für unfähig und überfordert halten. Doch die Auseinandersetzung mündeten immer öfter in persönliche Angriffe bis hin zur Beleidigung.

Doch nicht nur Wahlkampf steht an. Die Mehrheit in der Stadtvertretung, die Sünwoldt des Amtes entheben will, muss jetzt auch offiziell die Bürger über die Gründe informieren. Dieses Vorgehen ist in der Kommunalverfassung vorgeschrieben. Denkbar ist beispielsweise die Veröffentlichung einer Broschüre, in der die Argumente aufgelistet werden. "Der Bürger muss umfassend informiert werden", sagte ein Sprecher der Kaltenkirchener Stadtverwaltung.

Sünwoldt ist nicht verpflichtet, offiziell den Bürgern seine Sicht der Dinge darzulegen. Doch auch er kann als Privatmann und Wahlkämpfer das Instrument einer Verlautbarung nutzen. Der Bürgermeister hatte bereits kurz vor der Entscheidung am Freitagabend zu verstehen gegeben, dass er sich auf einen Wahlkampf einstelle. Er geht davon aus, dass die Sozialdemokaten ihn dabei unterstützen.

Der Ortsverein der SPD hatte bereits vor Wochen Unterstützung signalisiert. In der Stadtvertretung hatte sich außerdem überraschend die Fraktion weitgehend geschlossen hinter Sünwoldt gestellt. Lediglich sein Manager aus dem Bürgermeister-Wahlkampf im Jahr 2005, Manfred Feige, hatte dafür votiert, den Bürgern die Entscheidung über die Zukunft Sünwoldts zu überlassen.

Zwar müsse er den Beschluss der Stadtvertretung zum Abwahlverfahren erst einmal einige Tage verarbeiten und wolle zu sich selbst kommen, doch dann werde er damit beginnen, für sein Amt zu kämpfen, sagt Sünwoldt. Er bezeichnete die gegen ihn erhobenen Vorwürfe als sehr hart. "Das trifft ihn", sagen auch die Kritiker.

Manche sprechen von der Tragik eines Mannes, der nach dem Amtsantritt mit der gesamten Familie von Sachsen-Anhalt nach Kaltenkirchen gezogen ist, um hier eine neue Heimat zu finden und mit Elan eine neue Aufgabe zu übernehmen, daran aber jetzt gescheitert sei. "Wir sind endlich irgendwo angekommen", hatte Sünwoldt nach dem Umzug gesagt. Seine Frau verfolgte am Freitag mit Kindern die turbulente Debatte im Rathaus von den Zuschauerrängen aus.

Auch Sünwoldts Gegner, die ausnahmslos ehrenamtlich in der Politik tätig sind, sprechen angesichts des Dauerclinchs von Belastungen, die auf Dauer nur schwer auszuhalten seien. "Wir hatten deswegen schlaflose Nächte", sagt Barbara Büttner-Bohn, die gemeinsam mit ihrem Mann für die FDP in der Stadtvertretung sitzt. Der Stress und die nicht enden wollenden Debatten hätten inzwischen auch ihre Gesundheit angegriffen. "Die Entscheidungen sind sehr schwer", sagt Büttner-Bohn. Die Zeit für die kommunalpolitische Arbeit fehle in der Familie.

Tatsächlich trägt der Konflikt in der Kleinstadt Züge einer klassischen Tragödie. Egal, wie die Wahl am 8. Mai ausgeht: Die Wähler werden nicht nur über einen Bürgermeister, sondern auch über politische und menschliche Opfer entscheiden müssen. Bleibt Sünwoldt im Amt, sind seine Kritiker politisch blamiert und müssen den Vorwurf aushalten, als Volksvertreter anders zu denken als das Wahlvolk. Wenn sie nicht zurücktreten, ginge der Kampf um die Arbeit im Rathaus weiter. Der Schaden für die Stadt nähme aus ihrer Sicht weiter zu.

Entscheiden sich die Bürger hingegen für Sünwoldts Entlassung, wäre sein Ruf in der Region ruiniert. Die Wähler hätten ihm das Stigma verpasst, unfähig zu sein. Beim Militär würde man von einer unehrenhaften Entlassung sprechen.

Auch die Liberale Büttner-Bohn ist sich nicht sicher, ob die Kaltenkirchener ihren Argumenten folgen werden. Bereits einmal ist im südlichen Schleswig-Holstein ein Abwahlverfahren gescheitert: Vor fünf Jahren bestätigten die Bewohner von Barsbüttel (Kreis Stormarn) Bürgermeister Arno Kowalski im Amt, obwohl sich die gesamte Gemeindevertretung für die Abwahl ausgesprochen hatte.

Bis zur Wahl leitet der erste Stadtrat Karl-Heinz Richter die Verwaltung

"In diesem Land herrscht Politikverdrossenheit", sagte ein Besucher der Stadtvertretung in Kaltenkirchen. "Da folgt man den Parteien eher nicht."

Bis zur Wahl leitet Sünwoldts Vertreter, der ehrenamtliche Erste Stadtrat Karl-Heinz Richter (CDU), die Stadtverwaltung. "Ich persönlich habe das nicht gewollt", sagt der Landwirt im Ruhestand über seine neue Aufgabe. Kurz zuvor hatte Richter noch für den Beginn des Abwahlverfahrens gestimmt.

Wird Sünwoldt am 8. Mai abgewählt, bliebe der Landwirt und langjährige Kommunalpolitiker sogar bis zum Januar 2012 Chef im Rathaus. Dann träte ein neuer hauptamtlicher Bürgermeister sein Amt an. Theoretisch denkbar wäre sogar, dass Sünwoldt dann sein Comeback feiert. Er könnte sich nach seiner Abwahl erneut für den Job bewerben.