Rahlstedt. Mit ihrem Verein „Lärmschutz Rahlstedt“ haben sie der Bahn einst das scheinbar Unmögliche abgetrotzt: Einen funktionierenden Lärmschutz an den Bahngleisen nach Lübeck. Für die geplante neue S4 zwischen Hasselbrook und Bad Oldesloe wollten der Vereinsvorsitzende Claus-Peter Schmidt und sein früherer Vize Ulrich Weber das Gleiche noch einmal schaffen: Die Anwohner entlang der Strecke einen und in gemeinsamen Verhandlungen mit der Bahn das Beste herausholen. Aber jetzt sind die Helden von einst heillos zerstritten.
Die Bahn möchte für 630 Millionen Euro auf der Strecke nach Lübeck zwei zusätzliche Gleise zwischen Hasselbrook und Ahrensburg bauen. Das soll den Personennahverkehr stärken, Kapazitäten für den transeuropäischen Güterverkehr aus Skandinavien schaffen und den Hauptbahnhof entlasten. 2015 soll das Planfeststellungsverfahren beginnen und bis 2018 Baurecht schaffen. Für den Bau der S4 müssten private Anlieger Teile ihrer Grundstücke verkaufen. Andere fürchten, dass ihre Häuser unbewohnbar werden.
Jetzt, da laut Senat die Vorentwurfsplanung für die neue S4 in die eigentliche Entwurfsphase eintritt und die Weichen für Trassenführung, Lärmschutz-, Erschütterungs- und Umweltverträglichkeitsfragen gestellt werden, ist die Vertretung der Anwohner gespalten in eine neu gegründete, rigorose „Bürgerinitiative an der Bahnstrecke Hamburg - Lübeck e.V.“ und einen taumelnden Verein „Lärmschutz Rahlstedt“. Der Chef ist Claus-Peter Schmidt. Richtig, er führt beide Organisationen. Auch Schriftführer und Schatzmeister sind dieselben.
Schmidts Bürgerinitiative will überhaupt keine neuen Gleise. Sie will den Güterverkehr aus der Stadt verbannen und nur die S4 haben. Dann würden die beiden bestehenden Gleise reichen. „Lärmschutz Rahlstedt“ ist kompromissbereiter, hofft, dass für die S4 vielleicht nicht zwei, sondern nur ein zusätzliches Gleis kommen muss und hält die Verbannung des Güterverkehrs aus der Stadt für eher unrealistisch.
Doppel-Chef Schmidt teilt aber nur eine der beiden Meinungen. Er will „Lärmschutz Rahlstedt“ auflösen und die Mitglieder für die Bürgerinitiative und ihre schärfere Position gewinnen. Von knapp 70 auf etwa 30 Mitglieder schrumpfte der alte Verein bereits. Weber hält Schmidts Strategie für falsch und kann das Siechtum des über Hamburgs Grenzen hinaus bekannten, offiziell anerkannten Umweltvereins „Lärmschutz Rahlstedt“ nicht mit ansehen. Offiziell hat er sich zwar zurückgezogen und seine Ämter aufgegeben. Aber „als einfaches Mitglied“ kämpft er um den Rumpfverein und die moderate Position, will die „schweigende Mehrheit“ auf den Plan rufen, die Vereinsauflösung verhindern und weiter machen.
Die sachbezogenen Aktivitäten in Bürgerinitiative und „Lärmschutz Rahlstedt“ erlahmten, Schmidt entschuldigte seine Untätigkeit mit den Kräfte zehrenden Streitereien. „Von den Kritiker hört man seit bestimmt einem halben Jahr nichts mehr“, sagt der Rahlstedter SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Ole Thorben Buschhüter, der seit Jahren auch als Chef der „S4-Initiative“ für die S4 und zwei zusätzliche Gleise trommelt. Irgendwie vermisst er seine Gegner.
Der Hickhack der beiden Streithähne führt tief ins Vereinsrecht und in die Winkelzüge des zivilen Widerstands. Es geht um Klagerechte und regionale Beschränkungen des einen Vereins, die der andere nicht haben soll. Und umgekehrt. Die Bürgerinitiative soll Allianzen bis Flensburg schmieden können und der Verein nicht, sagt Schmidt. Weber sagt: „Stimmt nicht.“ Wegen vereinsschädigenden Verhaltens soll Weber aus Lärmschutz Rahlstedt ausgeschlossen werden. „Ich habe aber niemanden geschädigt“, sagt Weber. Schmidt sieht es anders und treibt das Verfahren voran. „Er hat Vereinsvorstände angemacht.“
Vor Gericht stritten die Helden von einst um eine ehrenrührige Äußerung. Nach der Urteilsverkündung erklärten beide dem Abendblatt, sie hätten den Prozess gewonnen. Oder wenigstens fast gewonnen und dabei das Wesentliche erreicht. „Schmidt darf die Äußerung nicht wiederholen“, sagt Weber. Und Schmidt: „Er ist doch auf den Kosten sitzen geblieben!“
Manchmal heilt die Zeit Wunden. Aber manchmal geht sie auch einfach nur über Streitende hinweg. Während Weber im Abseits steht, bläst Schmidt mit seiner Bürgerinitiative zum Angriff. Am Wochenende will sie bis Bad Oldesloe mit Flugblättern großflächig zum Widerstand aufrufen. „Haben Sie auch Post von der Bahn bekommen?“, schreibt Schmidt. „Die Bahn möchte neue Gleise bauen und braucht dafür Ihr Grundstück. Bahn und Stadt sprechen vom Bau der S 4, verschweigen aber die wahre Absicht ..., die Transit-Trassen für den europäischen Güterverkehr.“ Die Baugrunduntersuchungen, die die Bahn vornehmen lassen will, sollen die Anwohner ablehnen, schreibt Schmidt. „ Lassen Sie die Firma nicht auf ihr Grundstück, im Notfall machen Sie von ihrem Hausrecht Gebrauch. Lassen Sie sich keinesfalls überrumpeln, einschüchtern, ein schlechtes Gewissen einreden oder durch Appelle an Ihren Bürgersinn zum Einlenken bewegen. Diese Appelle sind einstudiertes Kalkül ...“
Schmidts Ziel ist es, „große Lücken im Datenbestand der Bahn“ zu erzeugen. Das soll die Bahn dazu zwingen, eine alternative Strecke für die Güterzüge zu prüfen. Schmidt will den vom Fehmarnbelt kommenden Güterverkehr um die dicht besiedelten Gebiete herum über Bad Kleinen an der Autobahn entlang geführt sehen. Das hatten auch schon Experten vorgeschlagen, ohne damit auf Gegenliebe zu stoßen.
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