Hamburg. Über Rahlstedts Gründerzeithäusern schwebt die Abrissbirne: In den vergangenen Monaten sind mehrere 100 Jahre alte Villen und Wohnhäuser abgerissen worden. Während die Mehrzahl der Eigentümer ihr jeweiliges Gebäude liebevoll erhält, werden andere Häuser im Heimat-, Landhaus- und Jugendstil plattgemacht und durch moderne Wohnungen und Bürogebäude ersetzt.
„Diese Häufung ist schon augenfällig“, sagt der Rahlstedter SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Ole Thorben Buschhüter. Der Wandsbeker CDU-Fraktionsvorsitzende Eckhard H. Graage spricht von einem „Zeitenwandel, den wir nicht aufhalten können“.
Erst vor wenigen Tagen ist ein Haus aus der Gründerzeit abgerissen worden. Ein ähnliches Schicksal droht einer Villa am Warnemünder Weg sowie drei Häusern an der Bargteheider Straße 32–36. Auf diesem Grundstück will ein Lebensmitteldiscounter bauen, wenn die derzeit noch offenen Rechtsfragen geklärt sind. Der gehäufte Abriss von Häusern aus dieser Epoche, klagt Carmen Hansch, Erste Vorsitzende des Rahlstedter Kulturvereins, bewege viele Rahlstedter. „Oftmals ist für Außenstehende nicht zu erkennen und zu verstehen, warum ein Gebäude abgerissen werden muss.“
Häufig sind es der marode Zustand, die hohen Sanierungskosten, bürokratischen Hürden und baulichen Vorschriften (Energiepass), die aus Sicht der Eigentümer für einen Abriss sprechen. Jetzt trifft es mit Alt- und Neu-Rahlstedt sowie Oldenfelde ein Villengebiet, dessen Fundament auf das Jahr 1893 zurückgeht. Nach dem damaligen Bau des Rahlstedter Bahnhofs waren einst Hunderte von Häusern entstanden, die bis heute ein geschlossenes architektonisches Ensemble darstellen.
Einige von ihnen stehen inzwischen unter Denkmalschutz wie mehrere Villen an der Remstedtstraße. Andere Grundstücke wie an der Bordesholmer und an der Parchimer Straße gelten als sogenannter Erhaltungsbereich.
Doch die Eigentümer können es offenbar schaffen, den Abriss eines stark sanierungsbedürftigen Hauses durchzusetzen. So sei der Schutz als Erhaltungsbereich „nicht unüberwindlich“, sagt Lena Voss, Sprecherin des Bezirksamts Wandsbek. „Bei Verwaltungsentscheidungen müssen zum Beispiel wirtschaftliche Zumutbarkeit und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet werden.“
Selbst bei einem denkmalgeschützten Haus könne der Eigentümer den Verfall provozieren, wenn er sich über gesetzliche Vorgaben hinwegsetze und Sanktionen in Kauf nehme, sagt Rainer Schünemann, stellvertretender SPD-Fraktionsvorsitzender in Wandsbek.
Dazu kommt nach Angaben des Bezirksamts Wandsbek, dass mit der Vereinfachung des Baurechts in den meisten Fällen gar keine Genehmigung mehr für den Abriss erforderlich ist. Wie viele Villen und Häuser aus der Gründerzeit verschwunden sind, konnte das Bezirksamt nicht mitteilen. Die Begründung: Der Abriss sei regelhaft nicht mehr genehmigungspflichtig.
Man könne den Stadtteil jedoch nicht unter eine „Käseglocke“ stecken
„Auffällig ist, dass von diesem Wandel besonders ehemalige Gastwirtschaften betroffen sind“, sagt jedoch der Rahlstedter SPD-Politiker Buschhüter. In diesem Zusammenhang verweist er auf das ehemalige Hotel Hameister. Auf dem Grundstück des abgerissenen Hotels steht heute ein neuer Wohn- und Bürokomplex – allerdings leer. Vor wenigen Monaten mussten auch ein mehr als 100 Jahre altes Haus in Meiendorf (Restaurant Mykonos) und das Altrahlstedter Landhaus einem mehrgeschossigen Wohnhaus weichen. „Ohne wirtschaftliche Nutzung konnten diese alten Häuser kaum erhalten werden“, sagt er. „Das schmerzt, weil es in Rahlstedt gerade gehäuft auftritt.“ Doch man könne diesen Stadtteil nicht unter eine „Käseglocke“ stecken, sondern müsse sich dem gesellschaftlichen Wandel und der Änderung des Freizeitverhaltens stellen, betont Buschhüter.
Unterdessen warnt der Wandsbeker SPD-Fraktionsvize Rainer Schünemann davor, dass Eigentümer schöne Jugendstilvillen mutwillig verfallen lassen. „Sie handeln verantwortungslos und müssen mit allen zur Verfügung stehenden Rechtsmitteln zur Rechenschaft gezogen werden“, fordert er. Ähnlich sieht das auch die Fraktionsvorsitzende der Linken in der Bürgerschaft, Dora Heyenn, die in Meiendorf zu Hause ist. Zwar habe sie Verständnis dafür, dass in wirtschaftlichen Extremfällen ein Abriss erfolgt. „Aber das Rahlstedter Stadtbild darf nicht radikal verändert werden.“
Um die Überformung der Ortsteile zu stoppen, setzt der jüngst verabschiedete Bebauungsplan Rahlstedt 127 hohe Hürden. Was Bauherren wegen der vielen Vorschriften zum Verzweifeln bringt, soll „Fehlentwicklungen durch eine gebietsuntypische Bebauung“ verhindern. Carmen Hansch vom Rahlstedter Kulturverein jedenfalls will wachsam bleiben. „Für die Zukunft sollte weiter – auch von den Vereinen – darauf geachtet werden, was und warum in Rahlstedt abgerissen wird“, sagt Carmen Hansch.
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