In der Jenfelder Au werden aus den Abwässern Strom und Wärme gewonnen und so 600 Haushalte versorgt. Erhebliches Potenzial bieten vor allem die als Schwarzwasser bezeichneten menschlichen Ausscheidungen in der Toilette.

Hamburg. Es war im Jahr 1842, als Hamburg einen Meilenstein setzte: Nach dem großen Brand entstand das erste moderne Kanalisationssystem auf dem europäischen Festland. Jetzt könnte die Hansestadt zur Vorreiterin innovativer Abwassernutzung werden. Denn am Montag erfolgte auf dem Gelände der früheren Lettow-Vorbeck-Kaserne in Wandsbek der Spatenstich für ein Abwassersystem, das in seiner Größe nach Ansicht des Hamburger Wasserbauers Professor Ralf Otterpohl weltweit einzigartig ist. Mit dem so genannten Hamburg Water Cycle in der Jenfelder Au wird, wo einst Soldaten exerzierten, künftig Energie ausgerechnet aus dem Toilettenabwasser gewonnen.

Umweltsenatorin Jutta Blankau (SPD) und Michael Beckereit, Geschäftsführer von Hamburg Wasser, gaben vor einem weißen Pagodenzelt symbolisch das Startsignal für die 12 Millionen Euro teuren Bauarbeiten des Abwassersystems. „Hier wird die Energiewende praktisch gemacht“, sagte die Senatorin. Und Helmut Löwe, Regierungsdirektor im Bundesministerium für Bildung und Forschung, würdigte den „besonders innovativen und ambitionierten Ansatz“ des Hamburger Projekts.

Auf dem rund 35 Hektar großen Gelände der Lettow-Vorbeck-Kaserne entsteht in den nächsten Jahren ein grünes Quartier mit mehr als 600 neuen Wohnungen. Das Ensemble umfasst nicht nur den denkmalgeschützten Exerzierplatz und historische Militärgebäude, sondern verbindet modernes Wohnen mit einem innovativen Entwässerungs- und Energiekonzept. Nach den Plänen der Initiative „KREIS“ („Koppelung von regenerativer Energiegewinnung mit innovativer Stadtentwicklung“) werden Regen-, Grau- und Schwarzwasser separat gesammelt und besonders nachhaltig genutzt. Während das Regenwasser in die Teiche und auf die Grünflächen fließt, kann das Grauwasser aus Küche und Bad über ein separates Rohrsystem energiesparend geklärt und später als Betriebswasser verwendet werden.

Die menschlichen Ausscheidungen werden in Biogas umgewandelt

Erhebliches Potenzial bieten vor allem die als Schwarzwasser bezeichneten menschlichen Ausscheidungen in der Toilette. „Aus diesem Konzentrat gewinnen wir Methan, wie es im Erdgas vorhanden ist“, sagt Michael Beckereit. In einer speziellen Aufbereitungsanlage am Rande des neuen Quartiers wird es vergärt. Bei diesem Prozess entsteht Biogas. Mit Hilfe einer Kraft-Wärme-Koppelung entstehen daraus schließlich Elektrizität und Wärme. „Auf diese Weise kann jede zweite Wohnung in der Jenfelder Au mit Strom versorgt werden. Außerdem decken wir zusätzlich 40 Prozent des Wärmebedarfs“, sagt Beckereit. Und Senatorin Blankau fügt hinzu: „Diese Pionieranlage setzt Maßstäbe für die ökologische Nachhaltigkeit in der Stadtentwicklung.“

Das Projekt realisiert Hamburg Wasser gemeinsam mit den Partnern in drei Bauabschnitten. Bis Dezember 2014 entstehen die Grau- und Schwarzwassernetze mit Grauwasserpumpwerk und Vakuumstation. Der zweite und dritte Bauabschnitt umfasst die so genannte Schwarzwasserbehandlungs-Anlage sowie den Endausbau für das Grauwasser. Die Toiletten in den einzelnen Wohnungen basieren auf dem Vakuumprinzip, wie es zum Beispiel in Flugzeugen Anwendung findet.

„Ich bin überwältigt, dass dieses Projekt konkret weitergeht“, freut sich Professor Ralf Otterpohl, Leiter des Arbeitsbereiches Kommunale und industrielle Abwasserwirtschaft an der TU Harburg. „Ich gehörte vor 20 Jahren weltweit zu den ersten, die auf dem Gebiet der Rückgewinnung von Nährstoffen und Energie forschten.“ Zwar werden einige Wohnungen in Lübeck bereits nach diesem Prinzip mit Energie versorgt. Aber in dieser Größenordnung sei das bislang weltweit einmalig, so Otterpohl. Derweil laufen bereits in China Planungen, um rund 100.000 Menschen auf der Basis von Schwarzwasser mit Energie zu versorgen.

Für Ralf Otterpohl bringt das Jenfelder Abwassersystem noch einen weiteren Effekt: Mit leistungsfähigen Nanofiltern können die gefährlichen Einträge von Medikamenten in die Gewässer gestoppt werden. Sie gelangen sonst ungehindert durch die menschlichen Ausscheidungen in die Bäche und Flüsse und lösen empfindliche Störungen des ökologischen Gleichgewichts aus. Wie Messungen des Hygiene-Instituts ergeben hatten, befinden sich erhöhte Konzentrationen von Schmerz- und Schlafmitteln sowie Antibiotika in den Zuläufen der Alster. Solche Mikroschadstoffe würden durch das innovative Verfahren in der Jenfelder Au eliminiert, sagt Otterpohl. Unterdessen wächst das Interesse von Hamburgern, künftig in der Jenfelder Au zu wohnen. Noch bis zum 27.Oktober haben Interessenten immer am Sonntag zwischen 14 und 18Uhr die Möglichkeit, das große Quartiersmodell und die Info-Anlage über Hamburg Water Cycle zu besichtigen (Eingang Wilsonstraße).