Lokalredakteur Ulrich Gaßdorf schreibt über Wandsbek, eine Stadt, die alles hat - und in der das Gedächtnis Hamburgs zu Hause ist.

Wandsbek. Am Wandsbeker Marktplatz zeigt der Stadtteil sein ganzes Temperament. Hier pulsiert das Leben. Das Einkaufszentrum Quarree liegt gegenüber, an der Wandsbeker Marktstraße reihen sich die Geschäfte aneinander. Das Bezirksamt Wandsbek residiert an der Schlossstraße mit Blick auf den Marktplatz.

Auf dem 2005 neu eröffneten Platz laden Sitzbänke zum Verweilen ein, viel Grün lenkt vom Straßenlärm ab. An den großen Dichter Matthias Claudius (1740-1815), der 1771 hierher gezogen war, erinnert bis heute eine Bronzeskulptur. Wenige Meter weiter ist das Restaurant Plaza beliebter Treffpunkt für Jung und Alt. Im Sommer, wenn draußen an den Tischen bis in den späten Abend hinein gegessen und getrunken wird, kommt mit ein wenig Fantasie sogar italienisches Flair auf.

Die Idylle wird allerdings ein wenig durch den angrenzenden Busbahnhof gestört. Tatsächlich ist es einer der wichtigsten Verkehrsknotenpunkte und zudem die größte Busumsteigeanlage Hamburgs. Mehr als 50 000 Fahrgäste nutzen die insgesamt 15 Buslinien, die hier haltmachen. In Spitzenzeiten fahren ihn 110 Busse pro Stunde an. Unterirdisch fährt zudem die Linie U 1: in 14 Minuten von Wandsbek Markt in die Innenstadt.

Der Boulevard Wandsbek

Dass die Wandsbeker Marktstraße und die Nobelmeile Neuer Wall etwas gemeinsam haben, erschließt sich vielleicht nicht auf den ersten Blick. Aber beide Straßen sind ein Business Improvement District, besser als BID bekannt. Das Konzept kommt aus Kanada, die Grundeigentümer übernehmen die Kosten für die Umgestaltung des Straßenraums. So wurden, initiiert durch die City-Gemeinschaft Wandsbek, rund vier Millionen Euro investiert. Im Juni 2010 war es nach zehnmonatiger Bauzeit soweit. Etwa 14 000 Quadratmeter neu gestaltete Gehwege, fast 76 000 Gehwegplatten und 61 neue Leuchten waren das Ergebnis. Wandsbek hat jetzt das BID mit dem drittgrößten Investitionsvolumen (Platz 1: Neuer Wall, Platz 2: Passagenviertel) der Hansestadt. Und die Wandsbeker sind stolz darauf. Sie sprechen jetzt gerne vom "Boulevard Wandsbek".

Alteingesessene Geschäfte im Familienbesitz haben auch im Herzen von Wandsbek inzwischen Seltenheitswert. Aber ein paar gibt es noch. Die Adler-Apotheke an der Wandsbeker Marktstraße gehört dazu. Vor mehr als 238 Jahren, im Juli 1773, wurde das Privileg erteilt, "einen Handel mit Gewürz- und Apothekerwaren" zu betreiben. In der Nachbarschaft sind zwei weitere Traditionsgeschäfte beheimatet: Betten Schwen wurde bereits 1872 als Kaufhaus Heinrich Schwen gegründet, und Optiker Kelb existiert immerhin auch schon mehr als 65 Jahre in Wandsbek.

Die Treue hält dem Stadtteil auch ein bekanntes Kaufhaus: 1892 wurde die Firma Ernst Karstadt im königlichen Amtsgericht Wandsbek in das Firmenregister eingetragen.

Heimatverbunden

Die wechselvolle Geschichte Wandsbeks wird im Heimatmuseum an der Böhmestraße 20 lebendig gehalten. Der Bürgerverein Wandsbek von 1848 und der Heimatring Wandsbek sind Träger dieser Institution im Stadtteil. Auch das Gebäude hat Geschichte. Der schlichte Backsteinbau, inzwischen weiß angestrichen, wurde um 1870 von den unverheirateten Töchtern des 1784 aus England zugewanderten Hamburger Kaufmanns Joseph Morewood (1757-1841) aus dessen Nachlass errichtet. Unter dem Namen Morewoodstift diente es als Zuhause für bedürftige ältere Menschen. Seit 1979 ist hier das schon 1929 gegründete Heimatmuseum untergebracht. Die Gäste werden durch das liebevoll eingerichtete Claudius-Zimmer und die Husaren-Stube geführt. Viele historische Bilder und Fotografien lassen die Vergangenheit aufleben. Auch ein Modell des schimmelmannschen Schlosses ist hier ausgestellt.

Der Kaufmann Schimmelmann und der Dichter Claudius sind wohl die beiden berühmtesten Wandsbeker Persönlichkeiten. Nur einen Steinwurf vom Marktplatz entfernt, gleich hinter der Christuskirche, steht das Schimmelmann-Mausoleum - es gilt als das bedeutendste klassizistische Bauwerk in Nordeuropa. Hier liegt Heinrich Carl Graf von Schimmelmann. Er hatte 1762 das Gut Wandsbek erworben und nicht weit von seiner heutigen Ruhestätte ein Schloss errichtet. Doch das wurde 1861 abgerissen.

Wertvolle Unterlagen

Das Staatsarchiv der Freien und Hansestadt Hamburg hat seit 1998 seine Heimat an der Kattunbleiche. Hier werden die wertvollsten Unterlagen von amtlichen Stellen, aber auch von Kirchen, Vereinen und Privatpersonen aufbewahrt. Der Gebäudekomplex, entworfen von den Hamburger Architekten Jan Störmer, ist ein Hingucker: Es besteht aus einem fensterlosen Magazin mit eisblauer Glasfassade sowie einem Verwaltungstrakt.

Breites Sportangebot

Wer Sport in der Gemeinschaft betreiben möchte, der ist in Wandsbek richtig. Einer der ältesten Sportvereine der Hansestadt ist im Stadtteil beheimatet. Bereits 1861 wurde der Wandsbeker Turnerbund (WTB) gegründet. Heute hat der Verein an der Kneesestraße rund 1300 Mitglieder und bietet 20 unterschiedliche Sportarten an. Darunter Volleyball, Karate, Tischtennis und Eltern-Kind-Turnen. Auch der TSV Wandsetal an der Stephanstraße hat ein breites Angebot, das von Fußball über Handball und Turnen bis hin zu Ringen und Tennis reicht. Aber auch Gesundheitssport und Tanzen stehen in dem 1890 gegründeten Verein mit rund 2000 Mitgliedern auf dem Programm. Ein besonderes Jubiläum feiert 2012 die Wandsbeker Schützengilde: den 375. Geburtstag.

Entspannen im Park

Die grüne Lunge des Stadtteils ist der Eichtalpark, der durch Wandsbek und den angrenzenden Ortsteil Hinschenfelde verläuft. Die imposanten Eichen und Ahornbäume flankieren die Wege und Wiesen. Die Wandse schlängelt sich durch den Park. Im Sommer laden die Grünflächen zum Sonnenbaden ein, und der See in der Mitte ist Heimat für viele Tierarten. Der Eichtalpark existiert bereits seit dem 18. Jahrhundert. Damals pflanzte der Wandsbeker Lederfabrikant Lucas Luetkens Eichenbäume auf seinem Anwesen an. Ein Extrakt aus deren Rinde wurde zum Gerben des Leders benutzt. Im Jahre 1870 wandelte sein Enkel Caspar Oscar Luetkens die Plantage in einen Park um.

Ein Juwel ist der Botanische Sondergarten, der sich direkt an den Park anschließt. Die liebevoll angelegte zwei Hektar große Parkanlage ist eine Oase der Ruhe und Entspannung und zu jeder Jahreszeit einen Besuch wert.

Die Serie finden Sie auch unter www.abendblatt.de/stadtteilserie

In der nächsten Folge am 14. 5.: Lemsahl-Mellingstedt